Glühweinpreise wie in Dubai

Der Weihnachtsmarktbesuch ist für viele unbezahlbar geworden. Negin Behkam ärgert sich über Berlins Verwandlung öffentlicher Räume in exklusive Zonen.

Besinnliche Stimmung? Klar – solange man die gröhlenden deutschen Männer ignoriert, die zwischen Glühweinstand und Bratwurstbude rassistische Sprüche loslassen.
Besinnliche Stimmung? Klar – solange man die gröhlenden deutschen Männer ignoriert, die zwischen Glühweinstand und Bratwurstbude rassistische Sprüche loslassen.

Wir wollten eigentlich nur über einen Weihnachtsmarkt schlendern. Meine Freund*innen und ich – alle migrantisch – suchen uns unsere eigenen Wege durch die dunklen Monate.

Unsere deutschen Freund*innen fahren in der Weihnachtszeit oft zu ihren Familien, verbringen Wochen damit, Weihnachtsdekoration und Geschenke zu kaufen. Wenn sie nach den Feiertagen zurückkommen, jammern sie auf hohem Niveau über ihre First-World-Problems: ein paar Kilo zugenommen, die Post hat die Pakete erst in letzter Minute zugestellt, so was in der Art. Oder über die Kommerzialisierung des Weihnachstfestes und deren Umweltbelastung. Instagram-Stories mit riesigen Weihnachtsbäumen mit unzähligen Geschenken darunter gibt es trotzdem.

Für viele von uns Migrant*innen der ersten Generation verläuft die Weihnachtszeit anders. Man vermisst die eigenen, weit entfernt lebenden Familienangehörigen noch mehr, fühlt sich einsamer als sonst schon; das Gefühl, nicht dazuzugehören, ist stärker. Für Menschen wie mich, die aus politischen Gründen nicht in das Land reisen können, in dem sie aufgewachsen sind, ist die Sehnsucht in dieser Zeit besonders groß. Und das macht unsere winterlichen Rituale umso wichtiger: türkisches Hamam im Dezember, Yalda-Nacht zur Wintersonnenwende, persische Leseabende, gemeinsames Kochen der persischen Suppe Āsch.

Negin Behkam

Negin Behkam wurde in Teheran geboren. Dort hat sie für verschiedene Zeitungen als Redakteurin gearbeitet. Einige davon wurden von der Regierung geschlossen. Nun arbeitet sie als Redakteurin des »nd«.

Weihnachtsmärkte sind nicht wirklich unser Ding. Zu voll, zu viele betrunkene deutsche Männer, die herumgrölen, rassistische Sprüche bringen oder irgendwo hinpinkeln. Die Musik: grauenhaft. Das Essen: ungesund. Die Beleuchtung aber gefällt mir. Und das Lachen der Menschen – an Tagen, an denen die meisten Gesichter auf der Straße mürrisch sind – gibt mir ein gutes Gefühl.

Als ich neu in Deutschland war, fand ich Weihnachtsmärkte aufregend. Ich mochte den Glühwein, der süß war und mich schnell beschwipst machte. Und vor allem: Die Märkte waren bezahlbar. Mit wenig Geld konnte man eine gute Zeit haben. Ein Stück Berlin, das allen gehörte.

Dieses Jahr wollten wir zum Weihnachtsmarkt an der Spree. Ich hatte schöne Erinnerungen daran: mein damaliger Freund und ich, beide Studierende, beide pleite, aber glücklich über die Lichtinstallation am Wasser. Dann las ich das neue Konzept: All-Inclusive-Ticket ab 29,90 Euro, VIP-Ticket ab 67 Euro. Eine Ausnahme? Von wegen! Auch auf »normalen« Weihnachtsmärkten der Hauptstadt kostet ein Glühwein mittlerweile zwischen fünf und sechs Euro, eine Bratwurst fünf bis sieben. Wer einen Abend zu zweit verbringen will – mit zwei Glühwein, einer Bratwurst und gebrannten Mandeln –, der ist schnell 30 Euro los. Für Studierende, Geringverdiener*innen oder Menschen mit Bürgergeld ist das nicht drin.

Wieso wird der Zugang zu den kleinen, öffentlichen Momenten der Stadt für Menschen sukzessive unmöglich gemacht? Wenn selbst das Schlendern zwischen beleuchteten Buden zum Premium-Event wird, ist klar: Berlin sortiert aus. Und das betrifft inzwischen leider viel zu viele Menschen.

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