Es waren zwei Königskinder

Jana Hensel baut ihren Debütroman »Keinland« auf ein deutsch-deutsch-israelisches Gedankenfundament

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 5 Min.

Im Frühjahr 2012 berief Jakob Augstein sie zur stellvertretenden Chefredakteurin seiner Wochenzeitung »Der Freitag«. Ende 2014 verließ Jana Hensel das Blatt aus nicht näher benannten »persönlichen Gründen«. In der Zeit dazwischen hatte das Simon-Wiesenthal-Zentrum durch die Aufnahme Augsteins in seine Top-Ten der Urheber antisemitischer Verunglimpfungen eine Kontroverse um dessen israelkritische Texte ausgelöst, die später aus neuem Anlass immer wieder mal aufbrandete.

Man würde nicht unbedingt erwarten, einen Grund für Jana Hensels Kündigung ausgerechnet in deren Romandebüt »Keinland« serviert zu bekommen, einem »Liebesroman«, wie der Untertitel versichert. Aber dann legt die Autorin ihrer Erzählerin Nadja, einer ostdeutschen Journalistin, die sich in einen israelischen Geschäftsmann verliebt, folgenden Satz in den Mund: »Die Zeitung, bei der ich arbeitete, war damals in den Verdacht geraten, etwas gegen deine Leute und euer Land zu haben.« Und wenig später erinnert sie sich daran, dass jener deutlich ältere Martin Stern sie einmal, als sie längst ein Paar waren, des Mitläufertums bezichtigt hat: »Wenn ich dich liebe, meintest du, also wirklich liebte, wenn ich es mit unserer Liebe ernst meinte, müsste ich meinen Job bei dieser Zeitung kündigen.«

Autorin und Erzählerin in eins zu setzen, hieße, das Wesen der Literatur zu verkennen. Natürlich ist Jana Hensel nicht Nadja, und die erzählte Geschichte ist ausgedacht. Andererseits scheut die 41-jährige Autorin sich nicht, ihren Lesern einige sehr konkrete Parallelen geradezu auf die Nase zu binden. So erinnert sich Nadja einmal an eine Begegnung mit der Kanzlerin, als die gemeinsam mit Journalisten im Kino ihren Lieblingsfilm »Paul und Paula« ansah. Ein Text Jana Hensels über jenes real verbürgte Ereignis ist in der »Freitag«-Ausgabe 20/2013 nachzulesen. Die autobiografische Grundierung dieses Romans schlägt sich zwar nicht durchweg so deutlich wie an dieser Stelle in der Handlung nieder, sie scheint aber - Stichwort Augstein - unmittelbarer Schreibanlass gewesen zu sein. Dass das so durchsichtig ist, tut dem Buch, das ja als reflektierendes Kunstwerk ernst genommen werden will, nicht gut. Ständig hat man beim Lesen das Gefühl, keinen Roman, sondern einen als Roman getarnten Selbsterklärungsversuch in den Händen zu halten.

Wer Hensels publizistisches Schaffen seit dem Erscheinen ihres Sachbuch-Bestsellers »Zonenkinder« (2002) auch nur ansatzweise verfolgt hat, der kennt ihr Lebensthema: die nicht abzuschüttelnde Herkunft aus der DDR. Sie offenbart sich in »Keinland« rasch als zweiter Pfeiler jenes Ideenfundaments, das den Roman nicht recht tragen will. »Ich dachte immer, ich werde diese Jahre eines Tages los, je älter ich werde, umso unwichtiger werden sie«, heißt es da einmal ganz im »Zonenkinder«-Duktus. Und weiter: »Das habe ich gehofft. Aber ich glaube, ich bin das Kind von damals geblieben. Ich werde es immer bleiben.«

So wie Hensels Erzählerin nicht Jana, sondern Nadja heißt, so heißt die DDR im Roman nicht DDR, sondern »das falsche Land«. Die alte BRD, in der Martin Stern aufgewachsen ist, wird als »das richtige Land« apostrophiert. Israel, wohin er nach der Wiedervereinigung auswanderte, ist »das heilige Land«. Das neue Großdeutschland aber, vor dem er offenbar floh, wird einmal als »das richtigfalsche Land« bezeichnet - ein schöner Name eigentlich, den die Erzählerin leider gleich wieder zurücknimmt. Im theoretischen Viereck, das diese einander historisch bedingenden Länder bilden, hofft Nadja ein weiteres Territorium begründen zu können. Ein Land allein für sich und den Mann, den sie liebt. Dass dieses Unterfangen scheitern wird, steht schon im Titel des Buches und wird gleich auf den ersten Seiten ausgeführt. Der Rest sind Rückblenden, die nach Gründen für das Scheitern suchen und am Ende einen kleinen Hoffnungskern aufkeimen lassen.

Die einzelnen Erzählfäden und Gedankenströme, die Jana Hensel in einer abenteuerlichen Mischung aus innerem Monolog, direkter Ansprache des Geliebten und subjektiver Reisereportage, aus aufrechter Erschütterung und naivem Gesäusel ausbreitet, fesseln im einen Moment, um im nächsten zu verärgern oder zu ermüden. Wie Nadja etwa in Yad Vashem beim Anblick der Namen jener Orte erschaudert, in denen die Toten lebten, derer hier gedacht wird - Ortsnamen, die bei ihr bislang ganz andere Assoziationen und Erinnerungen ausgelöst hatten -, ist aufrüttelnd und anrührend aufgeschrieben. Die in all ihrer beabsichtigten Tragik übertrieben blumigen und bedeutungsschwangeren Dialoge zwischen den Liebenden hingegen sind schlicht unglaubwürdig. In diesen Passagen offenbart sich die Schwäche des Buches am deutlichsten: Das gute und gut gemeinte Konzept scheint überall durch. Ein noch so fiktiver Roman, dem man seine Geschichte nicht abnimmt, ist misslungen.

Das ist umso bedauerlicher, als die Geschichte dieser beiden Entwurzelten so viel Potenzial gehabt hätte. Hier die Frau, deren Existenz an jenes »falsche Land« geknüpft ist, das nur noch als Territorium existiert, aber nicht mehr als Heimat. Dort der Mann, der zwar sein »heiliges Land« gefunden und besiedelt hat, aber die omnipräsente Abwesenheit »seiner Leute« nicht verwinden kann und sehr genau weiß, dass er anderswo und anderswer wäre, hätte es die Verbrechen der Nazis nicht gegeben.

Einmal sagt Martin zu Nadja: »Ich weiß, du findest, deine Leute laufen herum und sehen unter der neuen Farbe wie Tote aus. Aber das ist mir egal. Meine Leute sind wirklich tot.« Wo könnten diese beiden, die dazu verdammt sind, die Lasten der Geschichte auf ewig mit sich zu tragen, ein gemeinsames Heim finden? In der Gegenwart, von der Hensel berichtet, jedenfalls nicht. Gleich bei ihrer ersten Begegnung, da kennen sie sich noch kaum, sagt er zu ihr: »Ich wünsche mir nichts so sehr wie ein Kind.« Dieser Satz wedelt durch das Buch wie ein Seil, an dem Nadja sich festhalten will. »In diesen Satz«, lässt Hensel sie immer wieder sagen, »bin ich eingezogen wie andere in ein Haus«. Das ist der Hoffnungsschimmer, der das Buch nicht besser macht, aber vielleicht die Zukunft: Als Martin Nadja verlässt, weiß er nicht, dass sie schwanger ist.

Jana Hensel: Keinland. Ein Liebesroman. Wallstein, 196 S., geb., 20 €. Buchpremiere: 28. September, Maschinenhaus der Kulturbrauerei, Berlin.

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