Jamaikas Problembär

Die Wahlschlappe der CSU macht Horst Seehofer schwer zu schaffen, weil die christsoziale Basis mit Jamaika fremdelt

  • Florian Haenes
  • Lesedauer: 4 Min.

Süffisant kommentierte FDP-Parteichef Christian Lindner gestern, wie sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zunehmend auf die möglichen Koalitionspartner von der Union richtete. Er respektiere, dass CDU und CSU zunächst einen »internen Klärungsprozess« durchlaufen müssten. Das war ein Euphemismus, denn am Morgen war nicht einmal gewiss, ob Horst Seehofer nach der Wahlpleite am Sonntag den Tag als Vorsitzender der Christsozialen überhaupt unbeschadet überstehen würde.

Ein Teil der Parteibasis hatte den den Aufstand gewagt: »Wir brauchen einen neuen, glaubwürdigen Vorsitzenden«, sagte Thomas Schmitt, Vorsitzender des Ortsvereins Gemünden-Langenprozelten. Zahlreiche Orts- und Kreisvorstände schlossen sich ihm an. Seehofers parteiinterner Kontrahent Markus Söder hatte zuvor Verständnis für deren Aufbegehren geäußert und prophezeit: »Das wird auch nicht die nächsten Tage vorbei sein.« Auch der bayrische Finanzstaatssekretär Albert Füracker - ein enger Vertrauter Söders - forderte die Ablösung Seehofers.

Horst Seehofers Verstrickung wird nicht leicht zu lösen sein. Einerseits setzten ihn die Grünen unter Druck. Deren Bundesvorsitzende, Simone Peter, zog gestern nun doch eine rote Linie für die Sondierungsgespräche und sagte: »In einer Koalition mit uns wird es ebenso wie bei CDU und FDP keine Obergrenze für Flüchtlinge geben. Darauf muss sich die CSU einstellen.« Andererseits drängt die CSU-Basis nach dem Absturz um 10,5 Prozentpunkte auf 38,8 Prozent umso stärker auf eben jene Obergrenze und eine noch entschiedenere Besetzung von AfD-Themen. Viele Landtagsabgeordnete fürchten bei der bayrischen Landtagswahl im Herbst 2018 den Verlust ihres Mandats.

Am Vormittag debattierte die CSU-Landtagsfraktion in einer nicht-öffentlichen Sitzung ihr historisches Wahldebakel. »Die letzten zwei Tage waren eine Belastung für die CSU«, kritisierte Seehofer vorher seine Kritiker. Der ehemalige CSU-Vorsitzende Erwin Huber empfahl ihm einen Dialog mit den Bezirksverbänden und riet zu mehr Nachdenklichkeit und Demut. Ein Rat, denn Seehofer freilich nicht befolgte. Hinter verschlossenen Türen ging Seehofer - nunmehr seit neun Jahren Vorsitzender - zum Gegenangriff über. Er habe seine Gegner »voll attackiert« und langen Applaus erhalten, berichten Teilnehmer. Er soll gewarnt haben, dass Machtkämpfe seine Verhandlungsposition in Berlin nur schwächten und die Regierungsfähigkeit der CSU auf dem Spiel stehe. Die Personaldebatte wurde auf den Parteitag in November verschoben. Ein Einverständnis, dem sich Söder vorgeblich fügt: Er sei schon vor der Wahl gegen Personaldebatten gewesen. »Wir schaffen es nur gemeinsam, nicht einsam.«

Der Machtkampf in der CSU zeigt, wie leicht eine mögliche Jamaika-Koalition die Parteien vor Zerreißproben stellt. »Die Wahrheit ist, dass es zwar eine rechnerische Mehrheit gibt, die vier Parteien aber jeweils eigene Wähleraufträge haben«, sagte Christian Lindner. Tatsächlich haben Grüne, FDP und Teile der CSU je einen Politikwechsel als Voraussetzung für den Eintritt in eine Bundesregierung erklärt. Ob die verschiedenen Wähleraufträge miteinander verbunden werden können, meinte der FDP-Chef, stehe in den Sternen.

Angesichts der Unruhe bei der Union haben die Grünen ihren Bundesparteitag, der über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen entscheiden soll und für den 21. Oktober angesetzt war, vertagt. »Sollten CDU und CSU erst nach der Niedersachsen-Wahl Sondierungsgespräche aufnehmen wollen, ist das so«, sagte der politische Geschäftsführer Michael Keller. Doch auch bei den Grünen zeigen sich Risse. Der linke Flügel äußerte sich gestern zunehmend in einer Weise, die Realos ärgern dürfte. Ex-Parteichefin Claudia Roth, die bei den Verhandlungen mit am Tisch sitzen wird, fragte in Richtung CSU: »Glauben Sie wirklich, dass wir Grüne uns auf ein Bündnis einlassen, in dem ein Partner meint, rechts von ihm könne es nur noch die Wand geben?« Neben ihrer Absage an eine Obergrenze insistierte Parteichefin Peter, dass die Grünen die weitere Aussetzung des Familiennachzugs für Flüchtlinge ablehne. Die Parteilinke Anja Piel, Fraktionschefin der Grünen im niedersächsischen Landtag, brachte den dortigen Landwirtschaftsminister Christian Meyer als Bundeslandwirtschaftsminister ins Gespräch. Meyer hat den Ruf eines kompromisslosen Tierschützers und dürfte Agrarpolitiker der CSU provozieren.

Einzig CSU-Vize Manfred Weber äußerte sich gestern gänzlich unaufgeregt. »Wir setzen uns zusammen und reden miteinander«, sagte er. Dass sich die Parteien öffentlich beharken, sei normal: Jeder dürfe vor Sondierungen und Verhandlungen seine Position formulieren. Mit Agenturen

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