Übernahme auch bei Risiko

Urteil zur Kostenübernahme bei vorsorglicher Brustentfernung

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Donnerstag entschied das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, dass Beamtinnen, bei denen ein bestimmtes Brustkrebsgen nachgewiesen wurde und eine familiäre Belastung vorliegt, einen Beihilfeanspruch für eine prophylaktische Brustentfernung haben. Die Entscheidung hat vermutlich Auswirkungen auf das Leistungsrecht auch der gesetzlichen Krankenkassen, da es nicht um eine Krankheit im engeren Sinne, sondern um ein hohes Krankheitsrisiko geht. Bislang trafen die gesetzlichen Krankenkassen in ähnlichen Konstellationen Einzelfallentscheidungen.

Eine 1975 geborene Frau aus Hessen hatte bereits vor dem Verwaltungsgericht Darmstadt und danach 2016 am Hessischen Verwaltungsgerichtshof auf Kostenübernahme geklagt und dort jeweils Recht bekommen. Gegen die beiden Urteile hatte das Land Hessen als Arbeitgeber der Beamtin geklagt. Die prophylaktische Mastektomie kostet einschließlich anschließender Rekonstruktion mit Implantaten 13 000 Euro. 40 Prozent des Betrages hatte die private Krankenversicherung der Frau übernommen. Den anderen Teil erwartete die Beamtin von der Beihilfe des Dienstherren zurück. Dabei stützte sie sich auf die Beihilfeverordnung Hessens, wonach die Früherkennung von Krebs »beihilfefähig« ist. Nach der bisherigen juristischen Argumentation müsse das auch gelten, wenn Maßnahmen wegen genetischer Disposition ärztlich angeraten sind.

Zwar existiert keine Verpflichtung des Dienstherrn, Beamte vor jeder finanziellen Belastung im Krankheitsfall freizustellen, er muss sie aber vor unzumutbaren Belastungen schützen. Ziel ist, dass die Betroffenen möglichst bis zum Pensionsalter dienstfähig bleiben. Das Bundesverwaltungsgericht urteilte nun, eine Krankheit im beihilferechtlichen Sinn liege auch dann vor, »wenn die auf Tatsachen gestützte konkrete Gefahr einer schwerwiegenden Gesundheitsschädigung besteht«.

Die Klägerin war als Hochrisikopatientin eingestuft worden, da zwei Verwandte in direkter mütterlicher Linie an Brustkrebs erkrankt waren und sie selbst sowie ihre Mutter Trägerinnen des BRCA2-Gens sind. Für dieses Gen wie ebenso für BRCA1 gilt, dass bei den Betroffenen das Brustkrebs- und Eierstockkrebsrisiko deutlich erhöht sind. Insgesamt lösten die beiden Mutationen aber nur fünf bis zehn Prozent der aller Brustkrebserkrankungen aus - entsprechend ist der chirurgische Eingriff nur bei einem entsprechenden Teil der Patientinnen eine Option. Weitere Ursachen von Brustkrebs sind ebenfalls Mutationen, die nach bisherigem Wissen aber nicht genetisch bedingt und somit auch nicht vererbbar sind.

Zur Bestimmung des Brustkrebsrisikos wurde von Genetikern ein Verfahren entwickelt, das auch Computerprogramme einschließt. Damit wird zunächst die Wahrscheinlichkeit bestimmt, ob eine Genmutation vorliegen könnte. Dafür muss bekannt sein, wie viele Familienangehörige an Krebs erkrankten, in welchem Alter das geschah und welcher Verwandtschaftsgrad besteht. Erst bei einer Wahrscheinlichkeit von über zehn Prozent wird eine Beratung empfohlen - und zwar zunächst nur dazu, ob ein Gentest auf BRCA1/2 sinnvoll sein könnte.

Mit dem Ergebnis des Tests können die Frauen verschieden umgehen. Der radikalste Schritt ist, sich beide Brüste abnehmen zu lassen. Eine andere Möglichkeit ist eine intensive Vorsorge einschließlich jährlicher Untersuchungen, damit eine Erkrankung möglichst früh behandelt werden kann. Nach Angaben des Deutschen Krebsinformationszentrums senkt eine beidseitige Mastektomie das Lebenszeitrisiko für Brustkrebs bei Trägerinnen von BRCA1/2 auf zwei bis drei Prozent. Das Risiko liegt damit niedriger als das von Frauen ohne die beiden Genmutationen. Indes muss noch erforscht werden, ob sich das Gesamtüberleben der operierten Frauen ebenfalls verlängert oder ob sie eventuell gehäuft an anderen Krebsformen erkranken.

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