Seilbahn in Paris: Über Straßen hinweggleiten

Paris nimmt die längste Seilbahn im öffentlichen Verkehr Europas in Betrieb

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.
Insgesamt 11 000 Fahrgäste sollen die Gondeln künftig täglich nutzen.
Insgesamt 11 000 Fahrgäste sollen die Gondeln künftig täglich nutzen.

Paris nahm vergangenes Wochenende die erste Seilbahn für den Personennahverkehr in der Region in Betrieb. Sie befährt eine Strecke von 4,5 Kilometern und ist damit die längste Seilbahn für den öffentlichen Verkehr in Europa – und künftig mit dem Ticket für den öffentlichen Verkehr in Paris nutzbar.

Die Linie C1 des Pariser Verkehrsnetzes verbindet die Vororte Créteil, Villeneuve-Saint-Georges, Valenton und Limeil-Brévannes mit der Endstation der Metrolinie 8 am Stadtrand. Sie soll den täglichen Weg zur Arbeit für rund 80 000 Einwohner der Pariser Region verbessern.

Bisher musste dabei der größte Rangierbahnhof Frankreichs in Valenton zeitraubend umfahren werden. Jetzt gleitet die Seilbahn darüber hinweg. Bis zum vergangenen Wochenende benötigte man für den Weg mit dem Bus und der Vorortbahn unter günstigsten Verkehrsbedingungen mindestens 40 Minuten. Mit der Seilbahn sind es nur noch 18 Minuten.

Der Abstand zwischen den Kabinen beträgt weniger als 30 Sekunden. Jede verfügt über zehn Sitzplätze, die für den Transport eines Fahrgastes mit Rollstuhl, Kinderwagen oder Fahrrad hochgeklappt werden können. Insgesamt sollen die 105 Gondeln täglich von etwa 11000 Fahrgästen benutzt werden.

Die Anlage einer Straßenbahnlinie oder gar die Verlängerung der Metrolinie wäre ein größerer Eingriff in die Vorstadtlandschaft gewesen und hätte ein Mehrfaches gekostet.

Um die C1 umweltfreundlich zu gestalten, wird sie elektrisch betrieben und für die Pfeiler der Seilbahn werden möglichst kleine Geländeabschnitte genutzt. Die Anlage einer Straßenbahnlinie oder gar die Verlängerung der Metrolinie wäre ein größerer Eingriff in die Vorstadtlandschaft gewesen und hätte ein Mehrfaches gekostet. Allein für die Verlängerung der Metrolinie um einen Kilometer hätten 250 Millionen Euro aufgebracht werden müssen. Außerdem wurde für den Bau der Seilbahn weniger Zeit benötigt. Der erste Stein für die C1 wurde im September 2022 gelegt, die Einweihung erfolgte schon drei Jahre und drei Monate später.

Die 138 Millionen Euro an Baukosten für Infrastruktur, also für Pfeiler, Seilverbindungen und Antrieb, förderte zu 21 Prozent die Europäische Union, den Rest übernahmen die Regionen Paris und die angrenzende Val-de-Marne. Sechs Millionen Euro für die Kabinen stellte das Nahverkehrsunternehmen der Pariser Region Ile-de-France Mobilité. Es finanziert auch den laufenden Betrieb.

Alle technischen Einrichtungen der Linie und jede Kabine sind per Videokamera und Wechselsprechanlage mit einer Betriebs- und Sicherheitszentrale verbunden. Eine der größten technischen Voraussetzungen bei Seilbahnen ist der Wind. Dessen Geschwindigkeit wird in Paris laufend gemessen. Bei über 70 Kilometern in der Stunde wird die Geschwindigkeit der Bahn gedrosselt, bei mehr als 90 muss der Betrieb zeitweilig unterbrochen und Passagiere müssen auf die Busse verwiesen werden. Eine derartige Windgeschwindigkeit kommt in Paris allerdings sehr selten vor. Um bei technischen Problemen die Fahrgäste sicher aus den Kabinen zu evakuieren, wurden Feuerwehrleute in einem eigenen Lehrgang geschult.

Andere Großstädte Frankreichs verfügen schon lange über Seilbahnen, mit denen man gute Erfahrungen gesammelt hat. Dazu gehören vor allem Grenoble und Toulouse sowie nicht zuletzt Brest, wo eine tief in die Stadt ragende Meeresbucht durch eine Seilbahn überbrückt wird. Zahlreiche französische Städte planen derzeit Seilbahnen, einige sind auch schon auf der Suche nach einer Finanzierung. Das größte Seilbahnnetz mit täglich über 300 000 Fahrgästen gibt es rund um La Paz in Bolivien.

Auch in einigen hügeligen Städten in Nordrhein-Westfalen fanden bereits heiße Debatten darüber statt, Seilbahnen einzuführen. Während viele die Alternative als klimafreundlich anpreisen, gibt es auch Skepsis. Verkehrsforscher Andreas Knie kritisierte gegenüber dem WDR, Seilbahnen würden geplant, wenn Verantwortliche keine Bereitschaft übernehmen wollten, den individuellen Autoverkehr zu limitieren. Der Forscher vom Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung nannte sie deswegen ein »Alibi für verfehlte Verkehrspolitik«.

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