Wenn das Immunsystem spinnt

Der Virologe Stephan Becker über die Erforschung der Filoviren, zu denen auch Ebola gehört

  • Lesedauer: 5 Min.

Was verhindert heute, dass sich so etwas wie der Marburg-Virus-Ausbruch von 1967 wiederholen kann?

Für die Arbeit mit solchen Viren hat man heute ein separates Hochsicherheitslabor. Man trägt dort Schutzanzüge, die von außen belüftet werden, so dass man keinen direkten Kontakt mehr mit der Laborluft hat, und einige Lagen Handschuhe. Die Laborluft wird so gefiltert, dass die Viren nicht in die Umwelt gelangen können. Außerdem haben sich seit damals die Quarantänevorschriften für Tierimporte sehr verschärft. Man kann nicht mehr einfach Tiere aus Wildfängen verwenden und direkt im Labor mit ihnen arbeiten.

Was unterscheidet Filoviren von anderen Viren?

Besonders ist erstmal ihre Struktur: Das sind fadenförmige Viren, fast so lang wie Bakterien! Als vor 50 Jahren das Marburg-Virus entdeckt wurde, hatte man solche Viren noch nie gesehen, es war ganz klar, dass es sich dabei um eine neue Klasse handelt. Das hat sich dann bestätigt, als neun Jahre später in Afrika das Ebola-Virus entdeckt wurde, das ganz ähnlich aussieht. Was Filoviren noch auszeichnet, ist ihre Gefährlichkeit für den Menschen: dass sie in der Lage sind, sie so krank zu machen, dass eine beträchtliche Anzahl der Infizierten stirbt.

Woran liegt das?

Wir nehmen heute an, dass sich das menschliche Immunsystem nicht mit diesen Viren zurechtfindet. Es reagiert falsch. Es stößt sehr viele Botenstoffe aus, die nicht reguliert werden und dann zu Blutungen führen können. Das Gefäßsystem verliert viel Flüssigkeit, so dass die Organe - auch das Gehirn - nicht mehr richtig durchblutet werden und in ihnen ein Sauerstoffmangel entsteht. So kann es schließlich passieren, dass der Patient an einem Multiorganversagen stirbt.

Könnte das Ebola-Virus eine Mutation des Marburg-Virus sein, oder wie groß ist überhaupt die Gefahr von Mutationen und einer stärkeren Ausbreitung dieser Erreger?

Marburg- und Ebola-Virus sind wohl nicht auseinander hervorgegangen, haben aber gemeinsame Vorfahren. Man könnte sagen, sie sind vielleicht Cousins von der Verwandtschaftsnähe her. Filoviren gehören zu den RNA-Viren: Ihr Genom besteht aus einem Strang von RNA (einer der beiden Typen von Erbgut-Molekülen - d. Red.). Sie zeichnen sich durch eine hohe Mutationsrate aus. Das liegt daran, dass das Enzym, das das Virusgenom vervielfältigt, nicht so wie die Enzyme in der menschlichen Zelle durch Korrekturfunktionen ausgestattet ist und so darin regelmäßig Fehler eingebaut werden. Die einzelnen Viruspartikel sind also alle etwas unterschiedlich, und das ist auch wichtig für das Virus: So können, etwa wenn es sich von einem Tier auf den Mensch überträgt und dort ganz andere Verhältnisse vorfindet, die Partikel herausgepickt und vermehrt werden, die am besten angepasst sind an die neue Situation. Das gilt aber für alle RNA-Viren, also auch für Schnupfen-Viren oder das Influenza-Virus.

Sowohl das Marburg-Virus als auch das Ebola-Virus hatten als Wirtstier Fledertiere. Ist das bei allen Filoviren so?

Beim Marburg-Virus ist es gesichert, dass es sich in Flughunden vermehrt, diese aber nicht krank macht. Bei dem Ebola-Virus nehmen wir das an, weil in vielen Flughunden Antikörper dagegen gefunden wurden oder das Ebola-Virus-Genom. Außerdem hat man in spanischen Fledermäusen noch eine neue Spezies entdeckt, das Lloviu-Cueva-Virus. Damit liegt es nahe, dass Fledertiere insgesamt als Reservoir für Filoviren in Frage kommen.

Oh! Spanien ist bedenklich nahe ...

Scheinbar sind Filoviren weiter verbreitet als wir ursprünglich dachten. Auch auf den Philippinen hat man ein Filovirus gefunden, aber interessanterweise können sich Menschen damit zwar infizieren, werden aber nicht krank. Auch in Spanien hat es keine Erkrankungen gegeben. Das könnte daran liegen, dass es wenig Kontakt gibt von Menschen zu diesen Fledermäusen, aber auch, dass das Virus ebenfalls apathogen ist oder sich an Menschen überhaupt nicht anpasst.

Wie überträgt sich das Virus von Mensch zu Mensch?

Es gibt Viren, die übertragen sich über die Luft wie Schnupfen- oder Grippeviren, andere über Lebensmittel oder kontaminiertes Wasser. Filoviren übertragen sich nur über einen sehr engen Kontakt mit kontaminierten Körperflüssigkeiten wie Blut oder Speichel und dann auch nur, wenn der Patient sich schon in einer relativ späten Phase der Infektion befindet und genug Viren produziert, um einen neuen Wirt zu infizieren.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es denn heute?

Der Ebola-Virus-Ausbruch in Westafrika hat da viel in Bewegung gebracht. Es sind in den letzten Jahren sehr viele Versuche gestartet worden, eine spezifische kausale Therapie gegen das Filovirus zu entwickeln. Das Mittel, das besondere Berühmtheit erlangt hat, ist das (US-amerikanische Medikament) Z-Mapp. Das ist ein Cocktail von drei verschiedenen Antikörpern, die gegen das Oberflächenprotein vom Ebola-Virus gerichtet sind. Zumindest im Tiermodell scheint es mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit Infektionen zu verhindern, auch wenn die Tiere schon die ersten Symptome gezeigt haben. Es gibt noch keine verlässlichen klinischen Studien darüber, dass es auch beim Menschen hilft, aber es sieht alles danach aus.

Wie weit ist man mit Impfstoffen gegen Ebola?

Es gibt einige Impfstoffkandidaten, die im Affenmodell erfolgreich waren und damit auch die Menschen mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit schützen. Alle bestehen aus Viren, die für Menschen nicht krankheitsauslösend sind. Sie werden gentechnisch so verändert, dass sie in den infizierten Zellen anstelle ihres eigenen Oberflächenproteins das des Ebola-Virus synthetisieren, so dass der Geimpfte dagegen Antikörper und T-Zellen entwickelt. Bislang wurde nur das VSV-Ebola-Virus in der klinischen Phase-3-Studie eingesetzt - scheinbar mit Erfolg.

Ist es als Impfstoff schon zugelassen?

Ich nehme an, dass die FDA (US-Zulassungsbehörde für Arzneimittel - d. Red.) ihn Ende dieses oder nächsten Jahres zulassen wird. Aber nur für ganz spezielle Einsatzgebiete. Das sind Notfallimpfstoffe, die gedacht sind für wirklich lebensbedrohliche Situationen wie einen Ebola-Virus-Ausbruch.

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