Es gibt wieder Äpfel aus Zabadani

In Syriens befriedeten Gebieten um Damaskus kehrt allmählich der Alltag zurück, und doch ist keineswegs alles, wie es einmal war

  • Karin Leukefeld, Zabadani
  • Lesedauer: 5 Min.

Alles, was das Herz begehrt und Geld bezahlen kann, ist in Madaya zu haben. Nur ein lebenswichtiges Nahrungsmittel kann man nicht kaufen: Trinkwasser. »Wir bekommen unser Wasser aus der Bukein-Quelle umsonst«, sagte lachend eine Frau, die vor ihrem kleinen Lebensmittelladen sitzt. »Wenn Sie durstig sind, bitte schön, hier ist ein Glas Wasser.«

Madaya liegt nordwestlich von Damaskus im Barada-Tal unterhalb der Qalamounberge. Wie Zabadani, Bukein und Bludan ist auch Madaya ein beliebter Ausflugsort. Im Sommer 2015 hatten die syrische Armee und deren libanesische Verbündete, die Hisbollah, Madaya und auch das wenige Kilometer entfernte Zabadani abgeriegelt. Ziel war, die dort verbliebenen Kämpfer zur Aufgabe zu zwingen, die Bevölkerung bezahlte einen hohen Preis. Lebensmittel und Medikamente erreichten die Menschen kaum, Medien und internationale Hilfsorganisationen sprachen von Hungertoten, prangerten die syrische Regierung an und forderten einen humanitären Korridor.

Monatelang wurde über den Abzug der Kämpfer aus Madaya und Zabadani verhandelt. Im April zogen die letzten von mehr als 2000 Kämpfern aus Zabadani ab. Der Belagerungsring wurde auch für Madaya aufgehoben.

Zu den ersten 300 Familien, die in den oberen Teil von Zabadani zurückkehrten, gehörten Abu Tarik, der Vater von Tarik und sein Bruder Adnan. Die beiden Häuser, die sie mit ihren anderen drei Brüdern im oberen Teil von Zabadani gebaut hatten, hätten sie noch stehend vorgefunden, die Schäden seien aber enorm. Sein Geschäft - vor dem Krieg ein boomender Textilhandel - sei auch noch da gewesen, sagt Abu Tarik: »Gott sei Dank, wir haben schon angefangen zu renovieren.«

Für die 90-jährige Mutter, nach ihrem ältesten Sohn die Mutter von Adnan, Umm Adnan genannt, haben die Brüder in dem ehemaligen Geschäft einen Ruheraum eingerichtet. Unter einem Moskitobaldachin steht ein Bett, auf dem sie sich ausruhen kann. Die alte Dame sitzt in einem mit Kissen und Decken gepolsterten Plastiksessel und genießt die frische Brise, die durch die zerschossene Front des Geschäftes hereinweht.

In einer provisorischen Küche bereitet Abu Tarik Kaffee zu. Ein Nachbar bringt frische Äpfel und sagt: »Die besten Äpfel der Welt kommen aus Zabadani. Lassen Sie es sich schmecken.« Alles hätten sie vor dem Krieg gehabt, »uns ging es gut«, erinnern sich die Männer, die zwischen 50 und 70 Jahre alt sind. Obst und Gemüse, Schmuggelgeschäfte mit Libanon und vor allem Touristen aus den Golfstaaten hatten Zabadani, Bludan und Madaya zu Wohlstand verholfen. Gäste aus Saudi-Arabien hatten Häuser und Wohnungen gemietet oder gekauft, um sich in der Sommerfrische zu erholen.

Als einige junge Männer 2011 plötzlich die Revolution ausgerufen hätten, habe sie niemand ernstgenommen. Als es dann aber 500 Kämpfer waren, die mit Waffen und Geld ausgerüstet den Koran verbreiten und das Regime stürzen wollten, seien die Einwohner davon gelaufen. Er und seine Familie seien in das wenige Kilometer oberhalb liegende Bludan geflohen, sagt Abu Tarik. Sein Sohn Tarik sei mit Frau und Kindern geblieben, alle wurden bei einem nächtlichen Angriff auf das Haus getötet.

»Die jungen Männer haben mitgemacht, und viele Eltern haben sie anfangs sogar unterstützt«, wirft sein Bruder Adnan ein. »Alle dachten, das Regime werde in zwei, drei Monaten gestürzt sein.« Heute seien die jungen Männer aus Zabadani verschwunden, sagt Abu Tarik. Einige seien tot, einige im Gefängnis, andere seien ins Ausland geflohen, und einige seien nach Idlib, in die Rebellenhochburg, zu ihren Gesinnungsgefährten gegangen. Die Elterngeneration steht wie Abu Tarik und sein Bruder Adnan vor den Trümmern, die der Krieg hinterlassen hat. »Alles, was wir 50 Jahre lang aufgebaut haben, ist zerstört«, sagt Abu Tarik ernst. Ob sie es je wieder aufbauen könnten? Das Schlimmste aber sei: »Wir haben nicht nur unser Lebenswerk, wir haben auch unsere Söhne verloren.«

Der untere Teil von Zabadani, die Altstadt, liegt in Trümmern. Die Schienenstränge der Eisenbahn, die früher Wochenendgäste und Touristen brachte, liegen verlassen. Die Spuren des Häuserkampfes und des Krieges sind an jedem Gebäude zu sehen.

Oberhalb von Zabadani liegt auf 1500 Meter Höhe nur wenige Kilometer entfernt der Luftkurort Bludan. Hier ist eine andere Welt. Zum ersten Mal seit Jahren kommen wieder die Menschen aus Damaskus und Umgebung, um sich an den Wochenenden in der kühlen Luft, in Gärten und auf Terrassen zu erholen. Es wird getanzt und gegessen, Freunde und Verwandte treffen sich. Nicht weit von Bludan, an der Bukein-Quelle füllen die Menschen sich frisches Wasser in Flaschen und Kanister, und jenseits von Madaya, am Barada-Fluss, breiten Familien in den Obstplantagen und Gärten Teppiche und Decken aus und genießen das mitgebrachte Picknick. Grills und Bratereien bieten Hähnchen und Kebab an, es herrscht eine fast schon ausgelassene Stimmung.

Der Verkehr an diesem Freitagnachmittag ist so dicht, dass er ins Stocken gerät. Zwei Jugendliche, die auf der Ladefläche eines Autos inmitten von Kisten mit Äpfeln und Tomaten sitzen, werfen frisch gepflückte Äpfel zu zwei Lastwagenfahrern hinauf, die hoch über ihnen in ihrer Kabine sitzen. Als sie den Wagen mit dem Schild »Presse« hinter sich entdecken, springt einer von der Ladefläche und kommt mit zwei Händen voller Äpfel angelaufen: »Bitte schön, lassen Sie es sich schmecken. Die Äpfel von Zabadani sind die Besten der Welt!«

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