Mit Macrons Ideen gegen den deutschen Neoliberalismus

Manche Ideen des französischen Präsidenten können gegen die bornierten deutschen Neoliberalen in Stellung gebracht werden

  • Andreas Fisahn
  • Lesedauer: 4 Min.

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat in seiner Rede vor Studierenden der Sorbonne Vorschläge für eine Neugründung der EU vorgelegt. Sie beinhalten Elemente, die nicht auf Zustimmung stoßen können. Sie beinhalten aber auch Elemente, die man im Diskurs der Bundesrepublik von links gegen die Borniertheit der sich »Europäer« nennenden neoliberalen Dogmatiker in Stellung bringen kann. Die Vorschläge bleiben − selbstverständlich − vage, deren Umsetzung kann sehr unterschiedlich ausgefüllt werden. Das muss bedacht werden, macht aber auch eine Interpretation von links möglich.

Dieses sind die Vorschläge und ihre möglichen Interpretationen: Macron hat sich für länderübergreifende Wahllisten bei den Europawahlen ausgesprochen. Das wäre ein Schritt in Richtung einheitliche europäische Parteien und einheitliches Wahlsystem. Eines der Demokratiedefizite der Union besteht darin, dass der Grundsatz der Stimmengleichheit nicht gilt. Denn ein deutscher EU-Abgeordneter vertritt mehr als zehnmal so viele Menschen wie beispielsweise ein Abgeordneter aus Malta. Das heißt, der Grundsatz »one woman, one vote« wird bei den Wahlen zum Europaparlament nicht eingelöst. Länderübergreifende Wahllisten sind eine Möglichkeit, sich dem Grundsatz der Wahlgleichheit anzunähren, also ein Schritt in Richtung Demokratisierung. Diese ist wiederum Voraussetzung für die Stärkung des Europäischen Parlaments.

Macron schlägt einen Finanzminister und einen eigenen Haushalt für die Euro-Zone vor. Es stellt sich die Frage, welche Befugnisse der Finanzminister haben und wozu der Haushalt dienen soll. Für Schäuble ist der Finanzminister ein Instrument, um eine radikale Austeritätspolitik durchzusetzen. Dem Finanzminister soll nach Schäubles Vorstellungen ein Vetorecht gegenüber den nationalen Haushalten zustehen. So soll er die Einhaltung der Maastrichter Kriterien überprüfen und sicherstellen. Ein solcher Finanzminister wäre undemokratisch, weil die nationalen Parlamente entmachtet würden. Neuerdings tendiert die Bundesregierung allerdings eher in Richtung eines Europäischen Währungsfonds, der Staaten mit Refinanzierungsschwierigkeiten Kredite zur Verfügung stellen kann, gleichzeitig aber auch ein hartes Austeritätsprogramm einfordern und durchsetzen können soll.

Macrons Vorschlag lässt sich in eine andere Richtung deuten: Der Haushalt der Euro-Staaten hat die Aufgabe umzuverteilen, könnte also der Nukleus einer Transferunion sein, mit dem die Konstruktionsfehler der Einheitswährung in einem disparaten ökonomischen Raum gemildert werden könnten. Der Finanzminister hätte in diesem Falle keine Kontrollfunktion gegenüber den nationalen Parlamenten, sondern machte Vorschläge für europäische Investitionen.

Diesem Zweck kann auch der Vorschlag dienen, dass die EU eigene Steuerquellen bekommen soll, so dass sie nicht mehr auf die Mittelzuweisung durch die Mitgliedstaaten angewiesen ist, bei der nationale Egoismen groß geschrieben werden. Allerdings ist mit diesem Vorschlag eine offensichtliche Erweiterung der Kompetenzen der EU verbunden, die eine Demokratisierung nach deutschem Verfassungsrecht zwingend nötig macht. Der Vorschlag wird bei FDP und CDU nicht auf Gegenliebe stoßen, weil sie aus grundsätzlichen ideologischen Gründen gegen jede Form der Transferunion und der Vergemeinschaftung von Finanzen sind. Mit den Vorschlägen von Macron lässt sich deshalb vorführen, dass es die deutsche Regierung ist, die eine Weiterentwicklung von Europa in Richtung einer Solidar-Union verhindert.

Macron hat auch vorgeschlagen, die Körperschaft- oder Unternehmenssteuern in Europa zu vereinheitlichen beziehungsweise einen Mindeststeuersatz und einen maximalen Steuersatz festzulegen.

Einheitliche Unternehmenssteuern in Europa können den Wettlauf um Steuersenkungen für Unternehmen und den Standortwettbewerb der Staaten, der durch niedrige Steuern ausgetragen wird, begrenzen. Wichtig ist, dass der Spielraum, das Minimum und das Maximum, nicht zu weit auseinanderliegen und dass das Minimum über den gegenwärtigen niedrigen Steuersätzen für Unternehmen liegt. Man könnte so der Wettbewerbslogik im Europäischen System Grenzen setzen und das generierte Geld für soziale Zwecke verwenden. Auch das wird eine konservative Bundesregierung nicht mittragen, man kann sie damit als antieuropäisch vorführen.

Ähnliches gilt für Macrons Vorschlag, die Sozialversicherungssysteme in der Europäischen Union anzugleichen. Auch damit könnte der Wettlauf der Staaten um die niedrigsten Beiträge der Unternehmen zu den Sozialversicherungen eingedämmt und möglicherweise Armutswanderungen innerhalb der Union verringert werden. Auch hier kommt es selbstverständlich darauf an, auf welchem Niveau die Sozialversicherungssysteme eingerichtet werden. Wenig überzeugend wäre es, sich bei einem absolut berechneten Minimum oder auch nur beim Mittel der Mitgliedstaaten zu treffen. Die Angleichung der Sozialversicherungssysteme kann nur eine relative sein, das heißt, die Mittel werden in Relation zum Sozialprodukt des jeweiligen Mitgliedstaates berechnet. Auch dadurch könnte ein Teil der Wettbewerbslogik unterlaufen und der Druck aus dem neoliberalen Kessel genommen werden. Richtig ausgestaltet ist auch dieser Vorschlag von Links zu begrüßen.

Schließlich plädiert Macron für eine einheitliche Asylpolitik und eine europäische Asylbehörde, die für die Anerkennung von Flüchtlingen zuständig ist. Auch das muss konkretisiert werden. Es könnte aber ein Schritt in Richtung Aufhebung des Dublin-Regimes sein, das der Bundesrepublik die Flüchtlinge »vom Hals hält«.

Abzulehnen ist Macrons Vorschlag, die »gemeinsame Verteidigung« (gegen wen eigentlich?) zu stärken und dazu europäische Interventionstruppen zu schaffen. Leider ist zu befürchten, dass die Regierungen der 27 Staaten sich ausgerechnet auf diesen Vorschlag einigen können. Die Kommission argumentiert in ihrem Weißbuch in genau diese Richtung.

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