Grußredner Günther

Auch nach 100 Tagen ist die Kieler Jamaika-Koalition noch profillos - Stegner: Herausgekommen ist fast nichts

  • Dieter Hanisch
  • Lesedauer: 4 Min.

100 Tage Jamaika im Norden heißt auch, dass ab sofort die Schonzeit für Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) und sein Regierungsbündnis endet. Mit der Umsetzung des schwarz-grün-gelben Koalitionsvertrages lässt das Bündnis es bislang noch karibisch locker angehen.

Dabei verspricht der Ministerpräsident in jedem Interview mehr Dynamik, allerdings gibt es außer einer Reihe von Ankündigungen noch nicht viel vorzuweisen. Passend dazu hat Günther am Mittwoch in Kiel den Startschuss für sein »Digitalisierungskabinett« gegeben. Damit soll die Verwaltung modernisiert und das Bundesland zu einer digitalen Vorzeigeregion werden.

Gleichzeitig wetterte SPD-Landeschef Ralf Stegner nur wenige Kilometer entfernt bei einer Pressekonferenz im Landeshaus, dass Schleswig-Holsteins Jamaika-Pakt nach 100 Tagen noch kein großer Wurf sei. Seine Startbilanz lautet: »Viel Show, wenig Substanz.«

Kritik erntet Günther insbesondere dafür, dass man ihn bisher nur als Grußredner wahrgenommen habe und er sich zwar bei Eröffnungen, Jubiläen und Festivitäten sonne, inhaltlich jedoch bis dato noch keine substanziellen Botschaften im Gepäck hatte. Dynamik habe das neue Regierungsbündnis bisher nur bei der Einrichtung von zwei zusätzlichen Staatssekretärsposten sowie der Berufung eines weiteren dritten Regierungssprechers bewiesen, bemängelte der Oppositionsführer im Kieler Landtag.

Eines jedoch löste Beunruhigung bei der Opposition aus - nämlich das sofortige Herumwerkeln an der Schulstruktur. Gerade hatten sich Eltern wie Gymnasien ans Abitur nach acht Jahren bei der alternativen Wahlmöglichkeit des langsameren Abis an der Gemeinschaftsschule gewöhnt, da soll nun wieder das G 9 am Gymnasium verbindlich und damit ein zentrales CDU-Wahlversprechen umgesetzt werden. Ein entsprechender Gesetzentwurf hat bereits die erste Lesung im Landtag hinter sich und soll im Dezember dem Landesparlament zur endgültigen Verabschiedung vorgelegt werden. Gemeindetag und Städteverband protestieren dagegen, fürchten kommunale Schulträger und -verbände doch eine Kostenlawine auf sich zukommen, wenn Millioneninvestitionen für neue Räumlichkeiten bei Gymnasien nötig sind, während zuletzt neu geschaffene Gemeinschaftsschulkapazitäten leer zu stehen drohen. »Schulfrieden sieht anders aus«, sagt Stegner.

Städte und Gemeinden sind ebenso verunsichert, in welche Richtung sich die Vorgabe aus dem Innenministerium entwickelt, den Kommunen freizustellen, ob sie bei der Finanzierung von Straßensanierungen die Anwohner zur Kasse bitten wie bisher oder dies unterlassen. Die kommunale Kassenlage wird auf jeden Fall eine maßgebliche Rolle spielen. Damit liefere das Land Stegner zufolge den Kommunen eine noch nicht abzuschätzende Gerechtigkeitsbaustelle. Ärmere Orte, Gemeinden und Städte kassieren weiter, betuchtere hingegen erlassen ihren Bürgern diese Kosten. Dass die neue Regierung als quasi erste Amtshandlung der Erhebung einer kommunalen Pferdesteuer einen Riegel vorgeschoben hat, ist für Beobachter mehr populistischem Klienteldruck geschuldet als tatsächlicher Überzeugung.

Punkten konnte Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) in den ersten 100 Tagen mit seiner Ankündigung, keine weiteren Polizeistationen in ländlichen Räumen zu schließen. Nicht abgestimmte Alleingänge von FDP-Wirtschaftsminister Bernd Buchholz mit Aussagen zur Abschaffung der Grunderwerbssteuer bei Erstimmobilien und des Mindestvergabelohnes kamen bei Schwarz-Grün gar nicht gut an, entsprangen sie doch liberalem Wunschdenken, aber nicht dem Koalitionsvertrag.

Nach diesen ersten Rissen in der Koalitionsdisziplin wird nun gespannt auf den 11. Oktober geschaut, wenn Günther eine Regierungserklärung abgibt. Besonders brisant kann das Thema Windkraft werden, geht es doch um die glaubhafte Verwirklichung der Energiewende. Zum einen machen Windkraftgegner Druck und fordern weitere Abstände von Anlagen zur Wohnbebauung, zum anderen artikuliert die Windbranche mit vielen Arbeitsplätzen ihre Interessen. In diesem Spannungsfeld muss Günther verbindliche Richtlinien für einen Landesentwicklungsplan vorlegen. »Das kann sich bis 2019 hinziehen«, sagte Stegner und fürchtet einen Planungsstillstand für neue Anlagen. Hunderte Anträge dafür befinden sich derzeit nämlich in einer Warteschleife. Naturschützer sind unterdessen besorgt, dass ihre bisher ins Gewicht fallenden Einwände etwa beim Vogelschutz gegen ein Repowering oder neue Onshore-Genehmigungen Anwohnerzugeständnissen geopfert werden. Da wartet eine Nagelprobe auf die Günther-Regierung.

Als weitere Themenfelder mit Sprengkraft könnten sich aus dem Koalitionsvertrag auch Modellversuche zur regulierten und beaufsichtigten Drogenfreigabe und Überlegungen für ein Grundeinkommen erweisen, zumal alle beteiligten Koalitionäre da unterschiedliche Ansätze haben.

Diese heiße Eisen will zurzeit aber niemand anpacken, denn die Koalition soll vor dem bundespolitischen Hintergrund zunächst einmal ein positives Klima verbreiten. Stegner aber gießt gerne Wasser in den Wein: »Wir sprechen im Übrigen lieber von einer schwarzen Ampel als von Jamaika, trifft es die Realität doch besser als das selbsternannte romantisierende Bild, was sich CDU, Grüne und FDP selbst geben.«

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