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Koalition des Rückschritts für Umwelt und Soziales

Verbrenner-Aus wird gelockert, der Status quo bei Renten bleibt prekärer, und der Haushalt wird teuer für die Steuerzahler

CDU-Kanzler (r.) und SPD-Vizekanzler am Freitag vor der Presse: Anders als weiland zwischen den SPD-Größen Schröder und Lafontaine passt zwischen diese beiden wirklich kein Blatt Papier.
CDU-Kanzler (r.) und SPD-Vizekanzler am Freitag vor der Presse: Anders als weiland zwischen den SPD-Größen Schröder und Lafontaine passt zwischen diese beiden wirklich kein Blatt Papier.

Den Fortschritt hat sich das amtierende Regierungsbündnis, anders als das bis zum März amtierende, wohlweislich nicht in seinen Koalitionsvertrag geschrieben. Offenkundig geht es der nunmehr als Juniorpartnerin weiterregierenden SPD im besten Falle um die Wahrung des Status quo. Und für die Union darf es in Sachen sozialer Sicherheit und Klimaschutz gern auch rück- und abwärts gehen. In puncto Rente bedeutet das: Die Menschen, die in den Ruhestand gehen, haben noch eine sechsjährige Galgenfrist, bis zu der das aktuelle, sehr bescheidene Niveau der gesetzlichen Rente erhalten bleibt. Der Koalitionsausschuss von CDU, CSU und SPD erarbeitete in der Nacht zum Freitag ein Angebot, mit dem man 18 Abweichler aus den Unionsparteien dazu bewegen möchte, dem sogenannten Rentenpaket im Dezember im Bundestag doch zuzustimmen.

Weitere Beschlüsse des Gremiums, in dem die Partei- und Fraktionsvorsitzenden sowie Kanzler und Vizekanzler sitzen, beinhalten Geschenke an die Autoindustrie und die Baubranche. Letztere sollen den Wohnungsbau ankurbeln, vorgeblich den sozialen.

Der Bundestag beschloss derweil am Freitag zum Abschluss der finalen Beratungen dazu wie geplant den Bundeshaushalt für das kommende Jahr. Dieser beinhaltet mehr 180 Milliarden Euro an neuen Krediten.

Druck für Teilrückzug vom Verbrenner-Aus

Ein wesentliches Ergebnis der Koalitionsausschusssitzung war neben der Einigung zum Rentenpaket ein Teilrückzug vom sogenannten Verbrenner-Aus. Damit möchte man Jobs in der Autoindustrie sichern. Eigentlich haben sich die EU-Staaten längst gemeinsam darauf festgelegt, dass ab 2035 keine Neuwagen mit Verbrennungsmotor zugelassen werden. Nun aber will sich die Berliner Koalition auf EU-Ebene für Lockerungen einsetzen. Ziel sei mehr Flexibilität und »Technologieoffenheit«, sagte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) am Freitag vor Journalisten. Er werde darum bitten, dass die EU-Kommission auch nach 2035 neben rein batterieelektrischen auch weiterhin Fahrzeuge mit einem doppelten Antrieb zulasse, also sogenannte Hybridwagen mit Batterie und Verbrennungsmotor.

Laut geltender EU-Rechtslage dürfen Neuwagen ab 2035 im Betrieb kein klimaschädliches Kohlenstoffdioxid (CO2) mehr ausstoßen. Allerdings hat die EU-Kommission bereits angekündigt, die entsprechende Verordnung zum Verbrenner-Aus überprüfen zu wollen. Der Grund: Die Industrie und Mitgliedstaaten machen Druck.

Die schwarz-rote Regierung will laut einem vom Koalitionsausschuss beschlossenen Papier, dass auch nach 2035 Technologien wie Plug-In-Hybrid-Fahrzeuge und Elektrofahrzeuge mit sogenannten Range-Extendern neu zugelassen werden können. Umweltminister Carsten Schneider (SPD) sagte: »Im Gegenzug sollen die Mehremissionen ausgeglichen werden, etwa durch den Einsatz von grünem Stahl in der Automobilproduktion oder erneuerbare Kraftstoffe. In der Summe bleibt die Klimawirkung der geltenden Regelung so erhalten.« Schneider weiter: »Die Klimawirkung bleibt, aber die Industrie bekommt mehr Flexibilität auf dem Weg zum Ziel Nullemissionen für Neuwagen 2035.«

Das nun Beschlossene hatte Merz schon im Oktober nach einem Treffen mit den Managern der kriselnden deutschen Autobauer angekündigt. Außerdem hatten die Ministerpräsidenten der Bundesländer ebenfalls im Oktober die Bundesregierung um Aktivitäten in dieser Richtung gebeten.

»Die Klimawirkung bleibt, aber die Industrie bekommt mehr Flexibilität auf dem Weg zum Ziel Nullemissionen für Neuwagen 2035.«

Umweltminister Carsten Schneider (SPD) zur angestrebten Lockerung der EU-Verordnung zum Verbrenner-Aus

Während sich die für die Branche zuständige Industriegewerkschaft Metall und der Verband der Automobilindustrie mit dem Koalitionsbeschluss zufrieden zeigten, kam von Umweltverbänden scharfe Kritik. Martin Kaiser, geschäftsführender Vorstand von Greenpeace Deutschland, sprach von einer wirtschafts- und klimapolitisch fatalen Fehlentscheidung. Kein Verbrenner oder Plug-in-Hybrid komme auch nur in die Nähe der Effizienz eines E-Autos. Der Verkehrsexperte des Bundes für Umwelt- und Naturschutz, Jens Hilgenberg, sagte, schon bei der bisherigen Ausgestaltung der EU-Regulierung seien weitreichende Zugeständnisse an Autoindustrie und Zulieferer gemacht worden.

Die Koalition einigte sich auch auf die Ausgestaltung eines bereits angekündigten Förderprogramms für Haushalte mit kleinem und mittlerem Einkommen bei Kauf und Leasing von Elektro- und Plug-in-Hybrid-Fahrzeugen. Laut Beschlusspapier soll als Grundlage zur Feststellung der Förderfähigkeit ein zu versteuerndes Haushaltseinkommen von 80 000 Euro jährlich dienen. Die Basisförderung liegt demnach bei 3000 Euro zuzüglich Zuschläge für maximal zwei Kinder. Die erste Stufe des Förderprogramms sei auf Neuwagen ausgerichtet, so Umweltminister Schneider. Sein Haus werde für eine zweite Stufe auch Regelungen für Gebrauchtwagen vorschlagen.

Das Förderprogramm soll im kommenden Jahr starten. Der Bund will dafür drei Milliarden Euro zusätzlich bereitstellen, die aus dem Klima- und Transformationsfonds kommen sollen. Nach dem abrupten Stopp einer vorherigen staatlichen Kaufprämie für E-Autos Ende 2023 war der Absatz stark eingebrochen. Bei der früheren Prämie gab es keine Einkommensgrenze.

»Große Rentenreform« ante portas

Weiter kündigten die Koalitionsspitzen eine große Rentenreform und die Förderung der privaten Altersvorsorge mit zehn Milliarden Euro an. Damit sollen die jungen Unionsabgeordneten dazu bewegt werden, kurzfristig dem Rentenpaket zuzustimmen. Täten sie das nicht, würden der Koalition sechs Stimmen für eine eigene Mehrheit für die Gesetzesänderungen fehlen. Die Grünen hatten bereits angekündigt, dem Paket nicht zuzustimmen, die Linke wollte erst noch den finalen Gesetzentwurf lesen, bevor sie sich entscheidet.

Mit einem vom Koalitionsausschuss formulierten Begleittext zum Rentenpaket wird auf die Anliegen der jungen Unions-Abgeordneten eingegangen. Das von den Koalitionsspitzen beschlossene Paket selbst soll nicht angetastet werden.

Im Begleittext-Entwurf wird die im Koalitionsvertrag vereinbarte Rentenreform noch einmal verbindlich zugesagt, außerdem werden die Zuschüsse zur privaten Vorsorge zugesichert. Die Rentenkommission, die demnächst ihre Arbeit aufnimmt, soll laut Begleittext bis zum kommenden Sommer Vorschläge für eine umfassende Reform vorlegen. Das Gremium soll auch den Auftrag erhalten, eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit über das Rentenalter 67 hinaus zu prüfen.

Für die Zeit nach 2031 wird angekündigt, dass der sogenannte Nachhaltigkeitsfaktor »weiterentwickelt« werden soll. Er soll dafür sorgen, dass die Gesamtausgaben des Staates für die Rente nicht zu stark steigen. Die Beitragssätze sollen für die kommenden zehn Jahre stabil bleiben. Mit den Dividenden eines Aktienpakets des Bundes im Volumen von zehn Milliarden Euro soll der Aufbau privater Vorsorge bei der jungen Generation unterstützt werden.

Kanzler Merz sagte, es habe bereits einen Austausch mit der Jungen Gruppe in der Union gegeben. Weitere Gespräche sollen nach seinen Angaben über das Wochenende folgen. Am Dienstag solle die endgültige Entscheidung über das Abstimmungsverhalten der Union fallen. SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf betonte am Freitag im ZDF-»Morgenmagazin«, seine Partei halte am jetzigen Rentenpaket fest und wolle dafür sorgen, dass das Rentenniveau »bis 2031 nicht unter 48 Prozent« des Nettoeinkommens fällt.

Weniger Bürokratie für Baukonzerne

Absprachen gab es auch zum Wohnungsbau. Nach dem sogenannten Bauturbo soll nun eine »umfassende Novelle des Baugesetzbuches« folgen. Sie soll das Bauen vereinfachen und beschleunigen. Unter anderem soll ein Vorrang für neue Wohnungen in angespannten Wohnungsmärkten festgelegt und die Bauleitplanung vollständig digitalisiert werden. Wie genau dringend benötigter bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden soll, geht aus den Beschlüssen nicht hervor. Der Zentralverband Deutsches Baugewerbe lobte dennoch bereits die Vorhaben.

Ebenfalls im Koalitionsausschuss vereinbart wurde die Verlängerung des Kurzarbeitergelds auf 24 Monate bis Ende 2026.

Derweil beendete der Bundestag am Freitag planmäßig die abschließenden Beratungen zum Haushalt 2026 und beschloss den Etat mit den Stimmen der Regierungsfraktionen sowie denen von zwei fraktionslosen Abgeordneten. AfD, Grüne und Linke stimmten geschlossen dagegen.

Mega-Etat für Aufrüstung

Die Neuverschuldung wird im kommenden Jahr so hoch sein wie bisher nur in der Corona-Pandemie. Die schwarz-rote Koalition nehme sich damit vor, das Land auf Wachstumskurs zu bringen und Arbeitsplätze zu sichern, erklärte Finanzminister Lars Klingbeil in der Schlussdebatte.

Insgesamt genehmigten die Parlamentarier der Regierung Ausgaben von 524,5 Milliarden Euro, 21,5 Milliarden mehr als dieses Jahr. Um das zu finanzieren, sollen allein im Kernhaushalt Schulden von fast 98 Milliarden Euro aufgenommen werden. Hinzu kommen Kredite aus Sondertöpfen für die Bundeswehr und die Infrastruktur in Höhe von 84 Milliarden. Die Schuldenbremse wird pro forma eingehalten, weil der alte Bundestag im Frühjahr mit den Stimmen der Grünen eine »Bereichsausnahme« für Verteidigungsausgaben im Grundgesetz beschlossen hatte.

Mehr als ein Drittel des Haushalts macht der Arbeits- und Sozialetat aus, dessen Löwenanteil in die Rentenversicherung fließt. Sinkende Ausgaben sind beim Bürgergeld durch mehr Sanktionen gegen »Verweigerer« geplant.

Der Etat mit den höchsten Investitionen ist der von Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU). Das Geld fließt in Straßen, Brücken und Schienen. Auch das dient zu erheblichen Teilen der Kriegstüchtigkeit. Zusätzlich zu fast 14 Milliarden im Kernhaushalt kann Schnieder mehr als 21 Milliarden Euro aus dem ebenfalls im Frühjahr beschlossenen Sondervermögen für die Infrastruktur verplanen.

Die Ausgaben für die Verteidigung steigen auf insgesamt rund 108 Milliarden Euro und damit auf einen Höchststand seit Ende des Kalten Krieges. Darin enthalten sind auch 11,5 Milliarden Euro für die Ukraine, für die Artillerie, Drohnen, gepanzerte Fahrzeuge und andere Ausrüstung beschafft werden sollen. Das ist laut Verteidigungsministerium der höchste Betrag seit Beginn des russischen Angriffs 2022.

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