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»Antwort auf die Russifizierungspolitik«

Die ukrainische Schulreform bannt Unterricht in Russisch / Auch andere Minderheiten betroffen

  • Denis Trubetzkoy, Kiew
  • Lesedauer: 4 Min.

Diesmal brauchten die Abgeordneten der Werchowna Rada, des ukrainischen Parlaments, keine Aufwärmphase. Gleich am ersten Tag der neuen Sitzungsperiode stimmten sie für die wichtige und heiß diskutierte Bildungsreform ab. 255 Abgeordnete haben dem erneuerten Bildungsgesetz zugestimmt, das in erster Linie eine weitreichende Veränderung vorschreibt: Künftig werden Ukrainer zwölf statt elf Jahre an der Schule verbringen müssen. Das wird wiederum bedeuten, dass der durchschnittliche Ukrainer seinen Schulabschluss im Alter von 19 Jahren bekommen wird.

Während auch die Schlüsselfrage der Reform sowohl für viel Lob als auch für reichliche Kritik sorgt, wird die öffentliche Aufmerksamkeit durch einen anderen Aspekt erregt. Denn durch das angenommene Gesetz wird die Bildung in der Ukraine, die trotz der Alleinstellung des Ukrainischen als Staatssprache zweisprachig ist, komplett ukrainischsprachig. »Wir haben es endlich geschafft. Es ist sehr wichtig für die Zukunft der ukrainischen Sprache, aber auch der Souveränität unseres Landes«, kommentierte Wiktorija Sjumar, eine der Initiatoren des Gesetztes sowie Abgeordnete der Volksfront.

Konkret geht es darum, dass künftig nur noch Ukrainisch - mit kleinen Ausnahmen - an den Bildungseinrichtungen als Unterrichtsprache zugelassen wird. Zwischen dem 1. September 2018 und dem 1. September 2020 wird es noch erlaubt sein, die erste bis zur fünften Klasse in den Sprachen der nationalen Minderheiten zu unterrichten. Ab Herbst 2020 wird diese Norm allerdings auch für die unteren Klassen der Schule abgeschafft. Außerdem werden die Schulen der nationalen Minderheiten verschwinden. Für sie bleiben lediglich eigene Klassen, die sich allerdings nur auf die so genannten »eingeborenen Völker« wie Krimtataren beschränken. Nicht etwa auf die rumänische oder bulgarische Minderheit.

Eine weitere Ausnahme bilden Englisch und die Sprachen der EU: Es wird weiterhin erlaubt sein, einige wenige Fächer in diesen Sprachen zu unterrichten. Russisch als Bildungssprache wird aber durch die neue Reform völlig verschwinden, was vor allem die stark russischsprachigen Regionen im Süden und Osten der Ukraine beeinflussen könnte. Insbesondere der Oppositionsblock, dessen Wählerschaft aus diesen Gebieten kommt, empört sich über das neue Bildungsgesetz. »Damit wird Russisch für Schüler der höheren Klassen de facto untersagt. Das darf man mit der Muttersprache unzähliger Kinder nicht machen«, betont Olexander Wilkul, einer der Anführer des Oppositionsblocks. »So etwas hat mit dem angestrebten europäischen Weg nichts zu tun.«

Die Befürworter der Reform wie der Aktivist Taras Schamajda halten solche Kritik für ungerecht: »Zum einen darf Russisch als Fach natürlich weiterhin unterrichtet werden, gar keine Frage. Zum anderen ist es eine nötige Antwort auf die langjährige Russifizierungspolitik in der Sowjetunion sowie an die Dominanz der russischen Sprache.« Fraglich ist jedoch, ob dieser Schritt gerade im Bildungsbereich die Leute im umkämpften Teil des Donbass sowie auf der von Russland annektierten Krim auf die Seite Kiews bringen wird. »Es gibt die Leute, die die Krim und den Donbass mit der Ukrainisierung der Bildung dort zurückholen wollen? Das nenne ich logisch und sehr realistisch«, meint Oleg Woloschin, Diplomat und ehemaliger Sprecher des Außenministeriums, ironisch.

Allerdings ist die Zukunft der gesamten Bildungsreform trotz der positiven Abstimmung in der Rada fraglich, was allerdings nichts mit der Sprachenfrage zu tun hat. »Die Reform ist aus der Sicht der Regierung zu teuer«, betonte der ukrainische Ministerpräsident Wolodymyr Grojsman lange vor der Abstimmung. Finanzminister Olexander Danyljuk rief das Parlament dazu auf, das Bildungsgesetz nicht zu unterstützen, weil die Reform nicht finanzierbar ist: »Für sie gibt es kein Geld im Haushalt - und dieses Geld wird es auch morgen nicht geben.« Einschätzungen der Regierung zufolge soll die Umsetzung der Bildungsreform rund drei Milliarden Euro kosten, die Bildungsministerin verteidigt allerdings das Gesetz und sieht die Finanzlage als »nicht so dramatisch«.

Aus politischer Sicht ist außerdem eine kleine Änderung brisant, für die letztlich zusammen mit dem gesamten Gesetztext abgestimmt wurde. Diese sieht administrative Verfolgung der Lehrer, die sich negativ über die Ukraine oder ihre Staatssymbole äußern, vor. »Wir müssen die Leute, die unser Land negativ darstellen, aus dem Bildungssystem ausschließen«, sagt Olexander Spiwakowskyj, einer der Autoren des Gesetzes. Wie genau das funktionieren soll, ist noch unklar.

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