Unabhängigkeit verschoben

Schottlands Nationalisten wagen wegen der schlechten Umfragen zunächst kein weiteres Referendum

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Barcelona soll Edinburgh den Weg in die Unabhängigkeit weisen. Katalanische Fahnen schmücken den Konferenzsaal der Scottish National Party (SNP), Delegierte verurteilen das brutale Vorgehen der spanischen Polizei, die Stimmung schlägt für die Separatisten um Carles Puigdemont und gegen Madrid. Aber Schottlands nationalistische Mehrheitspartei befindet sich beim Parteitag in Glasgow auf dem Rückzug. Über die von Mitgliedern ersehnte zweite Volksabstimmung zur Trennung von England - die erste ging 2014 mit knapp 45 Prozent verloren - will Parteichefin Nicola Sturgeon erst im Herbst 2018 entscheiden.

2017 sollte den Nationalisten eigentlich den Durchbruch bringen. Bis Juni hielten sie 56 der 59 Wahlkreise nördlich des Tweed, die Erste Ministerin des Landes, Sturgeon, galt nach Theresa May als einflussreichste britische Politikerin. Schnell drückte die Schottin ein Gesetz zur Durchführung einer zweiten Unabhängigkeitsabstimmung (indyref 2) durchs Edinburgher Parlament.

Aber damit überzog sie. Der versprochene zweite Urnengang schreckte viele Landsleute ab, zur Brexit-Unsicherheit sollte keine neue über die Zerschlagung Britanniens kommen. Bei den britischen Neuwahlen im Juni verlor die SNP 21 Mandate, darunter die Wahlkreise des Sturgeon-Vorgängers Alex Salmond und des Fraktionschefs im Unterhaus, Angus Robertson. Hauptgewinnerin war die konservative Chefin Ruth Davidson, die als mögliche Nachfolgerin Theresa Mays gilt; aber auch Labour holte auf. Die neueste Umfrage des Survation-Instituts zeigte einen klaren Vorsprung von zwölf Prozent für den Verbleib in Britannien.

Nach Meinung des neuen Fraktionschefs Ian Blackford ist damit das Volksabstimmungsthema vorerst vom Tisch. Zum Auftakt des SNP-Parteitags verlangte Blackford, den Schwerpunkt auf Brexit und dessen negative Folgen zu legen: Auf indyref 2 gegenwärtig zu bestehen, hieße, das Pferd beim Schwanz aufzäumen, es sei wichtiger, eine Vision des zukünftigen Schottland zu entwickeln. Sturgeon hielt dagegen, die Argumente zugunsten der Unabhängigkeit seien wegen des konservativen Brexit-Chaos stärker als je zuvor; aufgeschoben sei nicht aufgehoben. Die Delegiertenherzen schlugen höher.

Sturgeon hat kostspielige Versprechungen gemacht, deren Durchsetzung nicht einfach wird. Wo soll das Geld für Mehrausgaben in Gesundheit, Schulen und Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst herkommen? Sicher sind dies wünschenswerte Ziele. Aber die Preise für Nordseeöl stagnieren, Whiskyexporte allein können das Blatt nicht wenden, weiß der Edinburgher Finanzminister Derek Mackay. Dass das Land von Subventionen englischer Steuerzahler abhängt, ist kein Argument für die Trennung. Nach einer neuen Umfrage sind übrigens nur 39 Prozent der Schotten mit der Arbeit der SNP-Regierung zufrieden, 42 Prozent lehnen sie ab.

Sturgeon wies auf Errungenschaften hin, wie ein Frackingverbot und die neue Autobahnbrücke an der Forth-Mündung. Sie entwarf einen Plan, um etwaige Bleiberechtsgebühren für im schottischen öffentlichen Dienst beschäftigte EU-Bürger zu übernehmen: ein gutes Willkommenssignal. Die Konservative Brexit-Taktik und Austeritätspolitik verurteilte die Erste Ministerin im stärksten Teil ihrer Schlussrede. Sturgeon versprach auch, kostenlose Kitazeiten auf 30 Wochenstunden zu verdoppeln. Sonst solle die Partei auf das Erreichte stolz sein und für die nächsten zehn Jahre des weiteren Regierens planen.

Die Gegner blieben indes unbeeindruckt. Labours amtierender Parteichef in Schottland, Alex Rowley, behauptete, der Ersten Ministerin gingen die Ideen aus, während Jackson Carlaw für die Tories Sturgeon riet, sich weniger um ihre Unabhängigkeitsvision und mehr um die alltäglichen Probleme in Schottland zu kümmern.

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