Grenzfall der Denkmalkultur

Friedrichshain-Kreuzberg schiebt neue Debatte über die Zukunft der East Side Gallery an

  • Tomas Morgenstern
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie weiter mit der East Side Gallery? Darum ging es am vergangenen Freitag in einem öffentlichen Hearing im Friedrichshain-Kreuzberg-Museum. Es griff den entsprechenden Auftrag auf, den die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) im Juni dieses Jahres dem Bezirksamt erteilt hatte und war wie ein Weckruf an Politik und Zivilgesellschaft. Gekommen waren Vertreter von Stadtbezirk und Senat, Künstler, Polit-Aktivisten und Bürger.

Von einem »zentralen Ort nicht des Bezirks«, sondern auch von einem »Denkmal von internationaler Strahlkraft« sprach die Kulturstadträtin des Bezirks, Clara Herrmann (Grüne). Von einem Ort, der »jährlich viele Millionen Besucher anzieht«. Denn die East Side Gallery sei sowohl Symbol der Teilung und des Grauens als auch Symbol der Freiheit, der Überwindung der Teilung und der künstlerischen Auseinandersetzung mit diesen Themen.

Seit mehr als 27 Jahren prägt die Bilderwand den Mauerstreifen zwischen Ostbahnhof und Oberbaumbrücke. Doch längst hat sich die East Side Gallery zum vielleicht meistbesuchten Touristenziel ganz Berlins entwickelt, gilt weltweit als Aushängeschild der Stadt. Immer mehr aber drängt Eventkultur den Denkmalcharakter des Ortes in den Hintergrund, der darüber hinaus zum Teil als Premium-Bauland verplant ist.

Der Bezirk, so zeichnet sich seit Längerem ab, fühlt sich mit der Aufgabe, ein derartiges Monument von Weltrang gegen die Vielfalt der Anfechtungen zu behaupten, allein gelassen. Was fehlt, ist ein umfassendes Konzept für die East Side Galerie. Und gemeint damit ist sowohl die weltberühmte Galerie der 121 Kunstwerke entlang des rund 1,3 Kilometer langen Mauerabschnitts, als auch deren Rückseite, die sogenannte West Side Gallery sowie das gesamte sie umgebende Areal zwischen Mühlenstraße und Spreeufer.

Vor allem Vorstöße der Grünenfaktion in der BVV, die Aufnahme der East Side Gallery in das UNESCO-Weltkulturerbe anzustreben, haben ein lebhaftes Echo gefunden. Kulturstadträtin Herrmann räumte ein: »Das übersteigt die Möglichkeiten des Bezirks.« Daher sei es notwendig, mit dem Land über eine Übernahme des Areals einschließlich der dahinter liegenden Grünfläche zu sprechen. Das Gelände, so erinnerte sie, sollte ursprünglich - was lange vor der Fusion von Friedrichshain und Kreuzberg geplant war - komplett bebaut werden. »Heute muss dort der Kampf um die Erhaltung möglichst vieler Grundstücke als öffentlich zugängliche Grünflächen geführt werden«, betonte sie.

Herrmann machte sich zugleich stark für eine »partizipative Form« des Ringens um Lösungen für Probleme an der East Side Galerie. »Wir müssen mehr tun«, sagte sie. »Wie gehen wir um mit Kommerzialisierung und Eventisierung eines Denkmalsortes? Wie kann eine adäquate Instandhaltung aussehen? Wie gehen wir mit der Westseite der Mauer um?«

Berlin Denkmalschutzstaatssekretär Gerry Woop (LINKE) plädierte dafür, dass auch ein Ort wie der East Side Gallery, der Teil des DDR-Grenzregimes war, stets auch einen Bezug zu dessen Geschichte haben müsse. Woop räumte der Zuerkennung des UNESCO-Titels nur geringe Chancen ein, sieht mehr Möglichkeiten bei einer Bewerbung als »immaterielles Erbe«. Als künftige Schwerpunktaufgaben machte er die Erhaltung der Zugänglichkeit sowie die Sicherung der Denkmalsqualität aus. Es müsse auch das tödliche Mauerregime dokumentiert werden.

Gerade dieses Thema kommt aus Sicht von Opfervertretern entschieden zu kurz. Alexander Arnold von der Gemeinschaft der Verfolgten des DDR-Regimes sprach sich gegen die Pläne der Denkmalschützer aus, die Westseite der einstigen Hinterlandmauer weiß zu streichen. Dies habe es den Grenzern erleichtert, Flüchtende zu entdecken. Stattdessen sollte an dieser Stelle an die persönlichen Schicksale der Opfer erinnert werden.

Sehr emotional wurde die Diskussion um die Bebauung des Uferstreifens geführt. Heftig kritisierten Teilnehmer den bereits errichteten Wohnturm »Living Levels«. Woop erinnerte daran, dass seit 2015 ein rechtskräftiger Bebauungsplan gilt, der auch den Bereich der Gallery einschließt. Um geplante Bebauungen abzuwenden, müssten den Eigentümern adäquate Ausgleichsgrundstücke oder finanzielle Entschädigungen angeboten werden. »Beides liegt nicht im Rahmen des Möglichen«, betonte er. Dennoch sprach er sich dafür aus, dass die Finanzverwaltung dies nochmals prüfen solle.

Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) forderte, die 2012 beantragte Änderung der Bebauungsplanung endlich voranzutreiben. Notfalls müsse man auf das Mittel der Enteignung zurückgreifen. Das werde Geld kosten. »Wir müssen nur die Frage beantworten, was uns das wert ist.«

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