Polens Linke in prekärer Lage

In Polen steckt die Sozialdemokratie und auch andere linke Parteiprojekte in der Krise

  • Wojciech Osinski, Warschau
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Herbst 2015 gehört zu den traurigsten Kapiteln in der Geschichte linker Parteien in Polen nach 1989. Die sozialdemokratische SLD verpasste damals nicht nur den Einzug in den Sejm, neben dem Senat eine der beiden Kammern der Nationalversammlung. Sie ermöglichte so obendrein der nationalkonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) die absolute Mehrheit. Unter dem Schild einer Vereinigten Linken scheiterte das Linksbündnis an der Sperrklausel.

Seitdem versucht sich die SLD aufzurichten, erreicht in den Umfragen jedoch nach wie vor nur etwa drei Prozent. Die kurz vor den Parlamentswahlen gegründete Partei Razem weckte im linken Spektrum neue Hoffnungen, vermag jedoch derzeit nicht, die zwei Prozentmarke zu überschreiten. Mit anderen Worten: Das postkommunistische Bündnis hat an Glaubwürdigkeit endgültig eingebüßt und die neue Sozialdemokratie steckt noch in den Geburtswehen.

Dabei gibt es in Polen durchaus Herausforderungen, auf die eine traditionell linke Partei zu reagieren hätte. Die Wirtschaftskrise hat das Land zwischen Weichsel und Bug zwar gut überstanden, doch sieht es sich 28 Jahre nach der Wende und nach zahlreichen neoliberalen Reformversuchen mit einer Reihe sozialer Probleme konfrontiert.

Im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedstaaten sind die Einkommensunterschiede noch immens und Kinderarmut weit verbreitet. Dazu kommen die graduelle Kommerzialisierung öffentlicher Dienstleistungen, eine immer noch schwächelnde Infrastruktur sowie drastische regionale Unterschiede beim Zugang zu Bildung. Auch das ungerechte polnische Steuersystem könnte ein Thema für das linke Spektrum sein.

Doch ausgerechnet die in beinahe allen westlichen Medien als »rechtsgerichtet« geschmähte PiS ist der Linken mit einem sozialen Programm zuvorgekommen. Die Partei von Jaroslaw Kaczynski hat sich einigen der genannten Herausforderungen gestellt, sei es durch die erstmalige Einführung des Kindergeldes oder die Schaffung günstigen Wohnraums und eines progressiven Steuersystems, auch wenn die enormen Kosten für derlei Projekte nicht nur von der vermögenden Schicht getragen werden. Genau eine solche Diskussion könnte eine neue Vereinigte Linke anregen.

Nur: Von einer Einigkeit ist die Linke momentan weit entfernt. Aus einem schier unübersichtlichen Potpourri an linken Bewegungen stechen Barbara Nowackas Inicjatywa Polska und Adrian Zandbergs Partei Razem heraus. Beide sind auf den Dialog mit der Zivilgesellschaft ausgerichtet und könnten in einem Wahlbündnis das Establishment sprengen. Davon sind sie aber noch weit entfernt, auch wenn sie gemeinsame Protestaktionen wie gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts veranstalten.

Allerdings fehlt es den jungen Vorsitzenden oft an Demut und an Geld, um die ambitionierten Pläne voranzuschieben. Die erforderlichen Mittel sowie einen großen Erfahrungsschatz hätte wiederum die SLD, doch nach unzähligen programmatischen Volten ist deren Ruf beschädigt. Die älteren, auf eigenen Profit bedachten Parteibonzen sind heute zwar verschwunden, aber die nötige Verjüngungskur hat noch keine charismatischen Persönlichkeiten hervorgebracht.

Die polnische Linke ist in eine prekäre Lage geraten. Nicht nur, dass sie innerlich zerstritten ist, sie wird entweder aufgrund ihrer Protestaktionen mit den neoliberalen Oppositionsparteien PO und Nowoczesna in Verbindung gebracht oder muss zugeben, dass die sozialen Reformen der PiS im Grunde ganz vernünftig sind. Bleibt nur die weitere Kritik an den Eingriffen der Konservativen in die Rechtsstaatlichkeit, an denen sich das Gros der polnischen Gesellschaft jedoch nicht weiter stört, solange es zu keiner bedeutenderen Wirtschaftskrise kommt. Im Jahr 2018 sind Lokalwahlen, viel Zeit bleibt nicht mehr.

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