Träume reichen bis ins Jahr 2049

»Sozialismus chinesischer Prägung« soll Lebensniveau der Armen spürbar anheben

  • Werner Birnstiel
  • Lesedauer: 3 Min.

Gern werden in China Ausdrücke hergenommen wie »die Lage ist ausgezeichnet« und »die Perspektive ist hell«, je nach persönlicher Gemütslage voller Überzeugung oder ironisch. Der 19. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) ab heute wird sicherlich kein Jubelfest, aber die Partei wird einen weiteren Aufstieg seit dem 18. Par-teitag 2012 feststellen, der das Reich der Mitte im Inneren wie auch außenpolitisch weit voran gebracht hat. Die Weichenstellungen laufen allseits in Richtung der »zweimal Hundert«, zum 100. Ge-burtstag der Partei am 1. Juli 2021 und weiter zum 100. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik am 1. Oktober 2049.

Kern aller Dinge war, ist und bleibt die wirtschaftliche Entwicklung. Und deren politische Rahmensetzung definiert die KPCh. Die Sicht ist, dass die Wirtschaft nun in eine »neue Normalität« hineinwuchs, in der die sehr hohe Wachstumsdynamik vergangener Jahre in ein relativ hohes Wachstum seit 2013/14 umgewandelt wurde.

Das klingt recht trocken, beinhaltet aber im Alltagsleben gravierende Veränderungen für die meisten in der 1,4-Milliarden-Bevölkerung. Ziel ist es, die Innen- und Außenpolitik so zu verknüpfen, dass die soziale Teilhabe ständig zunimmt, ein »bescheidener Wohlstand« bis 2020 erreicht wird und der Sozialismus chinesischer Prägung in seinem Anfangsstadium weiter Gestalt annimmt. Die Partei will mittels einer innovationsgetragenen Entwicklung den Umweltschutz verbessern sowie Reform- und Öffnungspolitik weiter umsetzen.

Das 2013 gestartete »Neue Seidenstraße«-Projekt soll die teilweise noch riesigen Unterschiede im Lebensniveau zwischen Stadt und Land, zwischen Küstenregionen und Binnenprovinzen in Richtung Zentralasien verringern. Dazu werden weitere große Regionen in Südwestchina wie Chengdu oder Chongqing durch die von der KPCh makroökonomisch vorgegebene und gelenkte Strukturentwicklung definiert.

Anzunehmen, dass sich diese Entwicklung konfliktfrei vollzieht, wäre naiv. So wird es auf dem 19. Parteitag der KPCh maßgeblich darum gehen, wie der gesellschaftliche Reichtum schrittweise gerechter umzusetzen ist und der Aufbau und die Nutzung marktwirtschaftlicher Strukturen und Mechanismen dauerhaft so genutzt werden können, dass sich die Armut in China weiter verringert. 700 Millionen Menschen wurden seit 1980 aus absoluter Armut befreit. Bis 2020/21 sollen die heute noch 50 Millionen Armen bessergestellt und ihr Lebensniveau spürbar angehoben werden.

Die Partei hat dazu bisher eine ganze Reihe Maßnahmen umgesetzt: finanzielle Zuwendungen, den kostenfreien Zugang zu Bildung, den Auf- und Ausbau des mittlerweile weltgrößten Renten- und Krankenversicherungssystems, die gezielte Schaffung neuer Arbeitsplätze. Neu ist, dass unter KPCh-Generalsekretär und Staatspräsident Xi Jinping - »Wohnungen sind zum Leben da und nicht zum Spekulieren« - die Bereitstellung bezahlbaren Wohnraums in den rasch wachsenden Städten durch die Einführung einer Art Wohnungsbaugenossenschaften gefördert wird, politisch und finanziell gelenkt durch Partei und Regierung.

Kritisch wird immer wieder beleuchtet, in welchem Zustand sich die Kommunistische Partei mit ihren derzeit rund 89 Millionen Mitgliedern befindet. Xi will das auf dem 19. Parteitag detailliert analysieren. Unter ihm wurde im Kampf gegen Korruption strikt durchgegriffen. Über 1,3 Millionen Amtsträger wurden verhaftet und teilweise hart bestraft, egal ob »Fliegen« oder »Tiger«, also einfache Parteimitglieder oder hohe Funktionäre bis hin zu Politbüromitgliedern, Vizechefs der Armee, Provinzgouverneuren oder Wirtschaftsmanagern.

Der chinesische Kommunismus zeigt sich dabei sehr wandelbar, und die Partei verweist auch weiterhin auf Karl Marx. Die genannten Entwicklungsstrategien seien, so heißt es, der erfolgreiche Praxisbeweis, dass die Partei es vermocht habe, die Lehren Marx' weiterzuentwickeln. So hinterfragt die KPCh immer wieder, welche Rolle Unternehmergeist spielen kann, um in China eine koordinierte wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung zu meistern.

Der »Sozialismus chinesischer Prägung« wird auch auf diesem Parteitag weitergeträumt. Marx als geschichtlich wegweisender Philosoph, Sozialwissenschaftler und Ökonom, so heißt es in Peking, werde die Orientierungen des Parteitages mitbestimmen.

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