Von der ungebrochenen Freude an der Rebellion

Der linke Publizist Thomas Ebermann hat den Roman »Q« von Luther Blissett als szenische Lesung auf die Bühne gebracht

  • Ruth Oppl
  • Lesedauer: 3 Min.

Wir aber werden es verwirklichen: Alles gehört allen!» Die Euphorie reißt ihn mit sich, denn er war dabei. Er hieß Brunnengert, Lucas Niemanson oder Don Ludovico, und jetzt erzählt er seine Geschichte. 40 Jahre hat er für die Verwirklichung dieses Credos gekämpft, sich gegen den Papst und die Fürsten gestellt, die Sehnsucht nach einer anderen, einer besseren Ordnung nie aufgegeben. Die Zeit, die aus seinen Erinnerungen lebendig wird, ist eine Zeit des Umbruchs: Ermutigt von den Schriften der Reformation, kämpfen die Bauern um die Aufhebung der Leibeigenschaft, die Wiedertäufer versuchen in Münster, ein irdisches Jerusalem zu erschaffen, und in Antwerpen geben vermögende Kaufleute ihren Besitz auf und gründen eine Kommune.

«Q», der internationale Bestseller eines anonymen Autorenkollektivs, veröffentlicht unter dem Namen «Luther Blissett», erzählt die Geschichte der Reformationszeit, die im öffentlichen Gedächtnis im Schatten der historischen Figur Martin Luther verschwindet.

Der linke Publizist Thomas Ebermann hat gemeinsam mit Berthold Brunner den Roman als eine szenische Lesung auf die Bühne gebracht, die ab Ende Oktober in ganz Deutschland auf Tournee ist. Um die dreißig verschiedene Rollen werden von vier Schauspielern verkörpert, der 700- Seiten-Roman wurde zu einer zweistündigen szenischen Lesung komprimiert. Dass das ganz hervorragend funktioniert, liegt ebenso sehr an den dramaturgischen Kniffen, die sich Ebermann hat einfallen lassen, wie an den wunderbaren Schauspielern, die er für dieses Projekt gewinnen konnte.

Denis Moschitto verbindet in seiner Verkörperung des Thomas Müntzer revolutionäre Verve mit kaltem Verstand, während er als Carafa, der später, als Papst Paul IV., Gegenspieler der Rebellen wurde, gefährlich leise anhand der Briefe des Spions Q seine Intrigen spinnt. Dem namenlosen Erzähler, dessen ungebrochene Freude an Rebellion bei Matthias Kelle so unschuldig und offenherzig daherkommt, ohne jemals lächerlich zu wirken, hat Ebermann die Figur der Beatrice gegenübergestellt. Beatrice taucht in der Romanvorlage nicht auf, sie ist die Instanz, mit der Ebermann und Brunner ihrer Kritik an einigen Aspekten des Romans eine Verkörperung geben. Souverän, mal neckisch spöttelnd, dann wieder ernsthaft und überlegen, gibt Ruth Marie Kröger diese lebenskluge Frau, die dem Erzähler, wenn er Gefahr läuft, sich im Pathos zu verlieren, pragmatische Realitäten entgegenstellt: «Seit Jahrhunderten und vielleicht für alle Zeit geben sich Männer der Illusion hin, die Huren kommen auf ihre Kosten wie sie selbst. Es ist allerdings keine Illusion, es ist ein Freispruch in eigener Sache.»

Eingebettet in die beiden Erzählstränge - die Briefe von Q an Carafa auf der einen Seite, der Dialog mit Beatrice auf der anderen - sind Rückblenden, in denen die Handlung auf der Bühne direkt ins erzählte Geschehen springt: Da hält Thomas Müntzer seine ketzerischen Reden, die Wiedertäufer Matthys und Jan van Leyden verwandeln revolutionäre Ambitionen in religiösen Wahn, von den Fuggern wird eine erkleckliche Summe ergaunert, Rebellen prügeln sich mit Landsknechten und feiern ausgelassen ihre Siege, bevor sie wieder zurückgeschlagen, getötet und in alle Himmelsrichtungen zerstreut werden. Das alles gelingt den Darstellern so plastisch, dass man zeitweise vergisst, dass sie vom Blatt lesen und ein Textbuch in der Hand halten.

Man sollte nicht versuchen, sich alle einzelnen Namen und Personen zu merken. Es empfiehlt sich, diesen Hinweis, den Thomas Ebermann einleitend der szenischen Lesung «Q» voranstellt, zu beherzigen. Damit verliert man zwar die Möglichkeit mitzuraten, wer denn jetzt tatsächlich der Spion und Verräter Q ist, kann sich aber dafür völlig auf das historische Tableau einlassen, das sich an diesem Abend farbenprächtig und mit beträchtlicher Komik auf der Bühne entfaltet.

Aufführungstermine: 24.10. Hannover, 25.10. Oldenburg, 30.10. Hamburg, 31.10. Potsdam, 1.11. Leipzig, 21.11. Frankfurt, 22.11. Reutlingen, 23.11. Göttingen.

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