• Politik
  • Kampf um die deutsche Staatsbürgerschaft

Im Zweifel nicht für die Betroffenen

Das Bundesverwaltungsgericht hat in zwei Fällen entschieden, wer als Spätaussiedler und wer als »deutsch« gilt

  • Sven Eichstädt, Leipzig
  • Lesedauer: 5 Min.

Wer als »deutsch« gelten kann, hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in zwei Fällen entschieden. In dem Fall eines Mannes, der aus der früheren Sowjetunion vor 24 Jahren nach Deutschland kam, beschloss es, dass dieser nur als Abkömmling einer Spätaussiedlerin und nicht selbst als Spätaussiedler gilt (Az. 1 C 21.16). In dem Fall einer nach kongolesischem Recht adoptierten Frau, die bei ihrem Adoptivvater und Onkel in Deutschland wohnt, hat es zudem entschieden, dass diese die deutsche Staatsangehörigkeit nicht erhalten kann, weil sich die kongolesischen Adoptionsregelungen etwas von den deutschen unterscheiden (Az. 1 C 30.16).

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Helmut B., im Mai 1954 in Tekeli im heutigen Kasachstan geboren, stellte im Juni 1991 einen Aufnahmeantrag als Aussiedler, der bei den deutschen Behörden im März 1993 einging. Im Juli 1993 wurde dieser Antrag dann abgelehnt, weil B. die deutsche Sprache zu schlecht beherrschte. Er wurde in den Aufnahmebescheid seiner Mutter aufgenommen und gilt seitdem als Abkömmling einer Spätaussiedlerin. Im Dezember 1993 reiste B. mit seiner Mutter nach Deutschland ein und lebt seitdem hier. Im September 1994 erwarb er die deutsche Staatsangehörigkeit. Allerdings wollte B. gerne eine Bescheinigung, dass er Spätaussiedler und nicht nur Abkömmling ist. Das hat den Hintergrund, dass es in der Bundesrepublik ein Fremdrentengesetz gibt, wonach Spätaussiedler und Vertriebene auch für Beschäftigungszeiten im Ausland eine Rente erhalten, nicht jedoch Abkömmlinge.

Im Jahr 2000 legte B. Widerspruch gegen die Entscheidung von 1994 ein, dass er als Abkömmling gilt. Dieser wurde mit der Begründung abgewiesen, dass die Frist abgelaufen sei. Der abermalige Widerspruch dagegen wurde 2004 abgelehnt. 2010 folgte ein Antrag beim Bundesverwaltungsamt, das Verfahren von 1993 wieder aufzugreifen. Dies wurde 2011 abgelehnt. Also legte B. Klage beim Verwaltungsgericht Köln ein, wo er im April 2014 unterlag. Beim Oberverwaltungsgericht Münster hatte seine Berufung hingegen im Juli 2016 Erfolg. Doch jetzt unterlag er endgültig vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, das die Revision des Bundesverwaltungsamts das Kölner Urteil bestätigte. Damit gilt B. weiter als Abkömmling einer Spätaussiedlerin und erhält damit nur für seine Arbeitszeit in Deutschland Rente.

Bei Kevine Umba N. ist es so, dass ihr Onkel Ephrem K., der als katholischer Pfarrer in Sindelfingen arbeitet, zugleich ihr Adoptivvater ist. N. wurde im Juni 1993 geboren, ihre Eltern starben, als sie noch minderjährig war. Nachdem ihr Vater 1997 im Kongo gestorben war, hatte der im März 1959 geborene K. im Mai 2004 die Vormundschaft für seine Nichte übernommen. Im November 2004 starb auch die Mutter von N., die Schwester ihres Adoptivvaters. Die Adoption wurde 2006 vollzogen: Allerdings nach kongolesischem Recht, das sich von deutschem Recht unterscheidet.

Das führte letztlich dazu, dass der Erste Senat des Bundesverwaltungsgerichts entschied, dass N. keine deutsche Staatsangehörigkeit erhält. Der Grund liege darin, dass nach dem Recht des Kongo bei einer Adoption die Beziehungen zu den leiblichen Eltern nicht vollständig erlöschen, selbst wenn die Eltern gestorben sind. »Die Adoption eines minderjährigen Kindes im Ausland durch einen Deutschen führt für das Kind in aller Regel nur dann zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit, wenn die Auslandsadoption auch zum Erlöschen des Eltern-Kind-Verhältnisses zu den leiblichen Eltern führt«, sagte der Vorsitzende Richter Uwe-Dietmar Berlit.

Der Adoptivvater selbst, der heute 58 Jahre alt ist, wurde im Oktober 2003 in Deutschland eingebürgert. Das Amtsgericht Stuttgart entschied im Oktober 2008, dass durch die Adoption das Eltern-Kind-Verhältnis zwar fortbestehe, gleichzeitig die Adoption aber hinsichtlich der elterlichen Sorge und Unterhaltspflichten einer deutschen Adoption gleichsteht. Familienrechtlich war sie also wie eine Adoption in Deutschland behandelt worden. K. hatte als Adoptivvater die entsprechenden Pflichten.

Im August 2011 beantragte er für seine Nichte und Adoptivtochter einen deutschen Staatsangehörigkeitsausweis. Dies lehnte das Bundesverwaltungsamt im Mai 2012 ab. Die Behörde verwies darauf, dass die Adoption in eine nach deutschem Recht hätte umgewandelt werden können, wenn N. vor ihrem 18. Geburtstag einen entsprechenden Antrag gestellt hätte. Dies hätte sie also vor Juni 2011 tun müssen, was sie aber nicht getan hatte. Die deutsche Botschaft in Kinshasa erteilte N. im November 2012 ein Visum, damit reiste sie im Januar 2013 nach Deutschland ein. Seitdem lebt sie bei ihrem Adoptivvater K. in Sindelfingen.

Im Mai 2013 erhob die Adoptivtochter Klage beim Verwaltungsgericht Köln gegen das Bundesverwaltungsamt. Die Kölner Richter entschieden im April 2014 zugunsten der Frau. Da die Behörde damit nicht einverstanden war, legte sie Berufung beim Oberverwaltungsgericht Münster ein und gewann dort im Juli 2016. Nun folgte die Revision von N. zum Bundesverwaltungsgericht, die am Mittwoch allerdings keinen Erfolg hatte. »Das Eltern-Kind-Verhältnis der Klägerin zu ihren leiblichen Eltern ist nicht erloschen«, sagte der Vorsitzende Richter Berlit. Genau dies kennzeichne aber eine Adoption nach deutschem Recht. »Damit fehlt es an einer für die Wesensgleichheit mit einer deutschen Volladoption zentralen Voraussetzung«, ergänzte Berlit. »Die Kappung der Bande zu den leiblichen Eltern ist von zentraler Bedeutung für die Integration des Kindes in die neue Familie.«

Hinzu kommt: »Bei der Beurteilung der Wesensgleichheit einer Auslandsadoption bedarf es einer abstrakten Betrachtung, die nicht danach differenziert, ob im konkreten Fall ein oder beide leiblichen Elternteile verstorben oder verschollen sind«, wie Richter Berlit ausführte. »Im Staatsangehörigkeitsrecht ist das Gebot der Rechtssicherheit von so erheblicher Bedeutung, dass klare abstrakte Kriterien für die rechtliche Gleichwertigkeit der Adoptionswirkungen und damit den Staatsangehörigkeitserwerb geboten sind.«

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