Olympia zwischen Angst und Wut

100 Tage vor den Winterspielen in Pyeongchang sorgen die politischen Spannungen auf der koreanischen Halbinsel und der russische Dopingskandal für große Verunsicherung

  • Jörg Mebus, Pyeongchang
  • Lesedauer: 3 Min.

Angst vor Donald Trump und Kim Jong-un, Wut über die Hängepartie im russischen Dopingskandal, Sorge um leere Arenen: Wenn am Mittwoch in Südkorea bei landesweiten Partys und Konzerten der 100-Tage-Countdown für die Winterspiele in Pyeongchang eingeläutet wird, befindet sich die Olympische Bewegung in Aufruhr. Selten hat es (sport)politisch in der Welt dermaßen gebrodelt wie vor der 23. Ausgabe der Winterspiele.

Der Auftakt der olympischen Asientournee, Tokio 2020 und Peking 2022 folgen, steht unter keinem guten Stern. Die größte Bedrohung für Pyeongchang liegt außerhalb des Einflussbereiches des Sports. Die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel, immer wieder befeuert durch Provokationen von Nordkoreas Staatschef Kim und US-Präsident Trump, sorgen für große Verunsicherung bei Sportlern und Funktionären. Der britische Olympiachef Bill Sweeney gab kürzlich zu, dass für den Kriegsfall ein Evakuierungsplan für die Delegation Ihrer Majestät entworfen worden sei. Die großen Wintersportnationen Frankreich und Österreich haben bereits laut über einen Verzicht auf eine Teilnahme nachgedacht, sollte sich die Situation zuspitzen.

Der Deutsche Olympische Sportbund bezeichnet Diskussionen über einen möglichen Verzicht als »verfrüht«, verweist auf seinen »ständigen Kontakt« zum Internationalen Olympischen Komitee und zum Auswärtigen Amt. Von dort ist zu hören, dass sich Sicherheitsexperten ein Bild von der Lage vor Ort gemacht haben. Bei den Stars ist jedoch Angst zu spüren. Skirennläufer Felix Neureuther stellt sich mehr denn je die Frage, ob er einen Olympiastart für sich verantworten kann: »Ich fahre einen Slalom, und da fliegen Raketen über mich drüber. Das ist Wahnsinn!« Nun sollen Wildcards für Nordkoreas Athleten den Nachbarstaat für Olympia erwärmen und von möglicherweise geplanten Übergriffen auf die Spiele abhalten. Entsprechende Überlegungen bestätigte Pyeongchangs Cheforganisator Lee Hee-beom: »Das IOC wird mit den internationalen Fachverbänden darüber beraten, mehr Sportlern aus Nordkorea eine Teilnahme zu ermöglichen«, sagte Lee.

Das größte hausgemachte Problem des IOC ist die ungeklärte Russland-Frage. Zwei Kommissionen quälen sich durch langwierige Untersuchungen des Dopingskandals. Über eine Sanktionierung Russlands soll im Dezember entschieden werden. In einer Mischung aus Wut und Resignation forderte Michael Ask, der Chef der dänischen Antidopingbehörde, die Sportler bereits zu zivilem Ungehorsam auf: »Die Athleten sollten ihre Macht nutzen, um so viel Druck wie möglich auf die handelnden Personen auszuüben.«

Vor zwei Jahren überließ das IOC die Sanktionierung den internationalen Fachverbänden, die damit zumeist heillos überfordert waren. Am Ende durften 271 russische Sportler in Rio starten - ungeachtet der Beweise für ein Staatsdopingsystem, das russischen Sportlern nicht nur bei den Winterspielen 2014 in Sotschi zu Höhenflügen verhalf. IOC-Präsident Thomas Bach beschwört allen Problemen zum Trotz den einenden Gedanken der Spiele. Sie seien ein Symbol des Friedens und schlagen Brücken »in einer Zeit, in der die Welt auseinanderzubrechen scheint«.

In Südkorea bleibt man trotz allem relativ gelassen. An die Kriegsangst hat sich das Land seit Jahrzehnten gewöhnt, Organisatoren und Politiker versuchen nach Kräften, die besorgten internationalen Gäste zu beschwichtigen. In puncto Organisation läuft fast alles nach Plan, nur das eingeschränkte Bettenangebot in der Bergregion bereitet ein paar Sorgen. Alarmierend ist allerdings der Ticketabsatz für die Spiele in der Wintersport-Diaspora Pyeongchang. Mitte Oktober war gerade mal ein Drittel aller Karten verkauft. SID/nd

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