Rumänien vor grimmigen Winter

Zehntausende gehen für eine unabhängige Justiz auf die Straße

  • Thomas Roser, Belgrad
  • Lesedauer: 3 Min.

Rumäniens selbst ernannte Wächter der Demokratie sind auf die Straßen des Karpatenstaats zurückgekehrt. »Wir wollen keine Nation von Dieben sein« oder »Gerechtigkeit, nicht Korruption!«, skandierten Zehntausende Demonstranten, die am Sonntagabend von Bukarest über Cluj (Klausenburg) und Sibiu (Hermannstadt) bis Timisoara (Temeschwar) in allen Großstädten des Landes auf die Straßen zogen. Anlass ihrer Empörung: Die geplante Justizreform, mit der die sozialliberale Regierung die lästigen Korruptionsbekämpfer der Sonderstaatsanwaltschaft DNA an die Kandare zu nehmen hofft.

Seit der Rückkehr der sozialdemokratischen PSD auf die Regierungsbank zu Jahresbeginn wogt in Rumänien ein heftiger Machtkampf um eine verstärkte Regierungskontrolle der Justiz. Der Versuch, per Gesetz korrupte und ins Visier der Justiz geratene Amtsträger zu amnestieren, löste im Februar gar die größten Massendemonstrationen seit dem blutigen Sturz des 1989 hingerichteten Diktators Nicolae Ceausescu aus. Das umstrittene Dekret, mit dem sich die Regierungsparteien den Ermittlungen der DNA zu entziehen trachteten, sah eine Amnestie für Straftäter mit Haftstrafen von bis zu fünf Jahren sowie die Verfolgung von Amtsmissbrauch nur bei einer Schadenssumme von über 44 000 Euro vor. Auf Druck der Straße und der EU zog die Regierung des im Frühjahr schließlich abgetretenen PSD-Premiers Sorin Grindeanu die Skandalvorlage zwar wieder zurück. Doch der wegen versuchten Wahlbetrugs vorbestrafte PSD-Chef Liviu Dragnea macht unvermindert weiter Druck.

Im Oktober legte Justizminister Tudorel Toader einen Gesetzentwurf vor, der nicht nur bei der Opposition, der EU und den USA, sondern auch bei der Mehrheit der Richter und Staatsanwälte im Land auf Ablehnung stößt. Er sieht vor, dass die Rolle von Staatschef Klaus Johannis bei der Ernennung und Abberufung von Spitzenbeamten der Justiz drastisch eingeschränkt, gleichzeitig der Einfluss des Justizministeriums merklich gestärkt werden soll. So soll der Präsident künftig nur noch einmal einen Kandidaten für Spitzenpositionen in der Staatsanwaltschaft ablehnen und keine eigenen Vorschläge mehr einbringen können. Für Unmut der Kritiker sorgt weiter der Regierungsplan, dass auch straffällig gewordene Politiker für das Amt des Staatschefs kandidieren können: Offenbar will die Regierung dem machtbewussten Dragnea bereits den Weg für eine Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen 2019 ebnen.

Von den Mahnungen westlicher EU-Botschafter und der USA zeigt sich der PSD-Chef bisher unbeeindruckt. Wie Ungarns Premier Viktor Orban macht auch Dragnea stattdessen den US-Milliardär George Soros für eine angeblich gegen ihn und seine Partei gezielt geschürte Kampagne verantwortlich. Die Wucht der Februarproteste haben die wieder aufgelebten Sonntagsdemonstrationen noch nicht erreicht. Doch scheint Rumänien angesichts der verhärteten Fronten erneut ein grimmiger Winter bevor zu stehen.

Kämpferisch gibt sich bereits der deutschstämmige Staatschef Johannis. Er werde »alle Hebel und Befugnisse« einsetzen, um die Unabhängigkeit der Justiz zu wahren und zu stützen. Von der schwachen parlamentarischen Opposition hat Dragnea hingegen nur wenig zu befürchten. Doch anhaltende Proteste und Kritik der EU könnte seine PSD durchaus unter Druck setzen: Schon im Februar brachen erstmals offene Gegensätze zwischen dem Reformflügel der PSD und der Betonfraktion um Dragnea auf.

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