EU-Asylsystem: Dobrindt für »Härtung und Schärfung«

Bei der Umsetzung der Reforrm des EU-Asylrechts will die Bundesregierung alle Spielräume nutzen

Für die Abschottung der Außengrenzen der EU wird die Agentur Frontex weiter gestärkt – auch auf Wunsch der Ampel-Koalition, die maßgeblichen Anteil an der Geas-Reform hatte.
Für die Abschottung der Außengrenzen der EU wird die Agentur Frontex weiter gestärkt – auch auf Wunsch der Ampel-Koalition, die maßgeblichen Anteil an der Geas-Reform hatte.

Das Asylrecht wird weiter ausgehöhlt. Nachdem der Bundestag die beiden Gesetzesvorhaben von Schwarz-Rot zur Umsetzung der 2024 beschlossenen Änderungen im Gemeinsamen Asylsystem (Geas) der EU im Oktober erstmals beraten hatte, befasste sich am Montag der Innenausschuss des Parlaments damit. Bei einer Anhörung ordneten Sachverständige aus Rechtswissenschaft, Justiz, Polizei und Verwaltungen die Pläne überwiegend als rechtskonform ein. Dagegen formulierten Vertreter*innen des Deutschen Instituts für Menschenrechte, von Pro Asyl sowie von Sozialverbänden, UN-Kinderhilfswerk Unicef und weiteren Kinderschutzorganisationen erhebliche Bedenken.

Ein Kernelement der Geas-Reform ist die Einführung beschleunigter Asylverfahren an den EU-Außengrenzen. Es soll mehr faktische Abschiebehafteinreichtungen innerhalb des EU-Territoriums als auch solche in Drittstaaten geben. Die Internierung soll pauschal Menschen betreffen, für deren Herkunftsländer die Asylanerkennungsquote bei weniger als 20 Prozent liegt.

Weiter ist die Registrierung und Speicherung von Daten aller in die EU Einreisenden geplant. Die Bewegungsfreiheit von Asylbewerbern und Personen ohne Aufenthaltstitel soll stark eingeschränkt werden. In Deutschland sind dafür Anpassungen im Asylgesetz, im Aufenthaltsgesetz und im Asylbewerberleistungsgesetz geplant. Dafür hat die Bundesregierung Entwürfe für ein »Geas-Anpassungsgesetz« und für ein »Geas-Anpassungsfolgegesetz« vorgelegt.

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) sprach sich auf der EU-Innenministerkonferenz Mitte Oktober in Luxemburg erneut für »zusätzliche Elemente zur Härtung und Schärfung« des Geas aus. Im Bundestag nannte er die Gesetzentwürfe der Koalition die »Grundlage, um die Migrationswende in Europa durchzusetzen«. Es gehe darum, ein neues »Gleichgewicht aus Humanität, Solidarität und Ordnung« zu schaffen. Die Kombination der Schlagwörter »Humanität und Ordnung« hatte einst Dobrindts Amtsvorgänger und Parteifreund Horst Seehofer kreiert. Inzwischen haben den Slogan längst auch SPD und Grüne übernommen. Auch in der Geas-Debatte gebrauchten ihn ihre Vertreter*innen rege.

Neben der Beschleunigung und Externalisierung der Asylverfahren nannte Dobrindt die Sicherung der EU-Außengrenzen und das Unterbinden von »Sekundärmigration« als Kernelemente der Geas-Verschärfung. In Deutschland will die Koalition sogenannte Sekundärmigrationszentren einrichten. Hier sollen Menschen festgehalten werden, für die nach der Dublin-Verordnung der EU ein anderer Mitgliedsstaat zuständig ist. Von dort sollen sie in das zuständige Land ausreisen dürfen.

»Es wird Regelungen geben, die an die Grenze dessen gehen, was das Grundgesetz, die EU-Grundrechtecharta und die Genfer Flüchtlingskonvention zulassen. Sie bleiben aber unser Kompass.«

Natalie Pawlik Beauftragte der Bundesregierung für Migration und Flüchtlinge

Zudem soll es »Wohnsitz- und Aufenthaltspflichten« geben, also das, was in der Vergangenheit als Residenzpflicht bezeichnet wurde. Dies bedeutet, dass Menschen den ihnen zugewiesenen Landkreis grundsätzlich nicht verlassen dürfen. In sogenannten Return Hubs, auch »Rückkehrzentren für abgelehnte Asylbewerber« genannt, sollen laut Dobrindt Personen interniert werden, die nicht in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden können, aber »in heimatnahe Regionen«.

Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Natalie Pawlik (SPD), beteuerte, die Geas-Reform sei »nicht das Ende des internationalen Flüchtlingsschutzes«. Ihrer Partei sei es bei den Verhandlungen in der Koalition wichtig gewesen, dass die Einrichtung von Sekundärmigrationszentren »eine Option und keine Pflicht für die Bundesländer« sei.

Kritik aus der Zivilgesellschaft an den Gesetzentwürfen nehme man ernst, erklärte die Fluchtbeauftragte. Es werde gleichwohl Regelungen geben, »die an die Grenze dessen gehen, was das Grundgesetz, die EU-Grundrechtecharta und die Genfer Flüchtlingskonvention zulassen«. Diese blieben aber »unser Kompass«, so Pawlik.

Genau das bezweifeln Grüne und Linke. Die Grünen-Politikerin Irene Mihalic nannte die Geas-Umsetzungsgesetze im Bundestag einen »Frontalangriff auf Schutzsuchende«. Sie wies auch darauf hin, dass den Regierungsplänen zufolge Asylsuchende spätestens zwei Wochen, nachdem die Zuständigkeit eines anderen EU-Staates für ihr Verfahren feststeht, von allen Leistungen ausgeschlossen werden. Zugleich werde nicht dafür gesorgt, dass die Betroffenen den »zuständigen Staat auch praktisch erreichen können«. Man könne ihnen jedoch nicht Nahrung und Unterkunft verweigern, wenn der Transfer in das andere Land nicht garantiert sei, sagte Mihalic.

Clara Bünger von der Linken konstatierte, dass auch in Deutschland »Haft künftig zum Normalfall im Asylverfahren« werden solle. Hinter Aufnahmeeinrichtungen für Sekundärmigration verberge sich »nichts anderes als ein neues System geschlossener Lager«. Dies gehe weit über die Geas-Vorgaben hinaus, so Bünger.

Unicef und andere Kinderrechtsorganisationen betonen in einer gemeinsamen Stellungnahme: »Haft im Migrationskontext ist nicht mit dem Kindeswohl vereinbar und muss gesetzlich ausgeschlossen werden.« Das betreffe auch »haftähnliche Bedingungen«. Weiter heißt es, der Aufenthalt von Familien mit Kindern in Erstaufnahmeeinrichtungen müsse verkürzt und dafür gesorgt werden, dass Kinder schnell im Regelsystem beschult werden. Zudem müsse der »umfassende Anspruch auf Gesundheitsversorgung gemäß EU-
Aufnahmerichtlinie« für alle geflüchteten Kinder bundesgesetzlich verankert werden, »unabhängig von Status und Herkunftsland«.

Die nationalen Gesetze zur Umsetzung der Geas-Reformen sollen spätestens im Sommer 2026 in Kraft treten.

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