May verliert weitere Ministerin

Britische Entwicklungshilfeministerin Priti Patel musste wegen Israel-Kontakten gehen

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.

»Einen Elternteil zu verlieren, ist Pech, aber gleich beide Eltern - das beweist Nachlässigkeit«, meinte Oscar Wildes Lady Bracknell. Die strenge Matrone hätte zwei Ministerrücktritte innerhalb einer Woche wohl als Auflösungserscheinung betrachtet. Im Vereinigten Königreich Realität: Nach Michael Fallon, der wegen mutmaßlicher sexueller Übergriffe gehen musste, ist nun auch die Entwicklungshilfeministerin Priti Patel zurückgetreten,

Priti Patel liebt den Brexit und Israel - wohl mehr als die eigenen Essex-Wähler. An sich kein Zeugnis von politischem Weitblick, aber auch kein Entlassungsgrund. Die 45-Jährige nutzte jedoch einen Israel-Urlaub zu einem guten Dutzend inoffizieller Gesprächen mit Regierungs- und Offizierskreisen, darunter mit Premier Benjamin Netanjahu , besuchte die seit fünfzig Jahren von Israel besetzten Golan-Höhen, informierte das zuständige Außenministerium über die Treffen nicht und wurde dabei nicht vom britischen Botschafter, sondern von dem konservativen Lobbyisten Lord Polak begleitet. Das heißt im Klartext, dass eine aufmüpfige Ministerin Außenpolitik auf eigene Faust machte.

Nach London zurückgekehrt, wollte Patel der israelischen Armee Geld aus dem Entwicklungshilfe-Etat zuschanzen, da diese auf den Golan-Höhen verletzte Syrer pflege. Dass die Israelis Raketeneinsätze Richtung Syrien befehlen und damit wohl einige der von ihnen gepflegten Verletzten selbst verursachen, ging Patel nichts an. Noch schlimmer: Sie hielt mit der Wahrheit hinterm Berg, bis sie nicht mehr zu leugnen war. Sogar nach dem Urlaub traf sie inoffiziell den Minister für öffentliche Sicherheit, Gilad Erdan, in London und den Chefbeamten des israelischen Außenministeriums, Yuval Rotem, in New York.

Kurz: die Tochter einer aus Uganda eingewanderten indischen Familie spielte die Rolle der Elefantin im Nahost-Porzellanladen. Was die britische Premierministerin Theresa May von diesem Treiben wusste und wann genau, bleibt unklar. Stephen Pollard, Chefredakteur der »Jewish Chronicle«, behauptet, bei Patels neuesten Treffen sei die Premierministerin sehr wohl informiert gewesen. Das würde zwar der Ex-Ministerin nicht helfen, aber May sehr schaden.

Die hat schon genug Sorgen, denn ihr tanzen bereits andere Kollegen auf der Nase herum. Außenminister Boris Johnson stellte vor und nach Mays EU-Rede in Florenz den Partnern bewusst unerfüllbare Bedingungen und faselte von einer rosigen Zukunft nach dem Brexit. Das allein hätte zum Rücktritt gereicht, meint die Brexit-Gegnerin Anna Soubry. Inzwischen hat der Dilettant sich noch einmal blamiert: im Fall Nazanin Zaghari-Ratcliffe. Die Frau, die sowohl britische als auch iranische Staatsbürgerin ist, ist seit anderthalb Jahren als angebliche Anti-Iran-Propagandistin in Teheran inhaftiert.

Johnson sagte im Parlamentsausschuss für auswärtige Fragen munter vor sich hin, eine Tätigkeit als Ausbilderin von Journalisten sei ohnehin nichts Schlimmes. Der Ehemann Richard Ratcliffe bestreitet aber, dass Zaghari-Ratcliffe in Iran gewesen sei, um Journalisten zu unterrichten und betont, seine Frau hätte aus rein privaten Gründen das Land bereist. Die Aussage Johnsons habe dazu geführt, dass die 38-Jährige erneut vor Gericht gestellt wurde, so Ratcliffe. Er forderte eine öffentliche Richtigstellung von dem Außenminister, dessen unbedachte Äußerung eine glatte Einladung an die iranische Justiz ist, sich im Urteil - fünf Jahre Haft - bestätigt zu finden und dies womöglich noch zu verschärfen.

Derweil sind andere Tory-Granden in anrüchige Sexismus-Affären verwickelt, darunter Mays loyaler Stellvertreter, Damian Green. Unschuldig bis zum Beweis des Gegenteils, lautet der juristische Grundsatz; kein Rauch ohne Feuer, widerspricht die Lebenserfahrung. Angeblich kursiert eine Liste mit vierzig Namen von kompromittierten konservativen Abgeordneten; ob die Partei so viele Nachwahlen erfolgreich bestehen könnte? Langsam dämmert es den Tories: dieses Chaos kann nicht weitergehen. Der Fisch stinkt vom Kopf.

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