Wieder mehr NATO am Hindukusch

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 3 Min.

Zuletzt starben in Kabul drei Menschen, als Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) den großen TV-Sender Schamschad angriffen. Es war bereits der 18. schwere Anschlag in der afghanischen Hauptstadt in diesem Jahr, darunter eine mehrstündige Schießerei in einem Militärkrankenhaus, bei der unlängst mindestens 49 Menschen starben, und ein Selbstmordattentat vor drei Wochen in einer schiitischen Moschee in West-Kabul, das 71 Menschenleben kostete. Schon im ersten Halbjahr war die Zahl ziviler Opfer auf einen neuen Höchststand geklettert. Nach Angaben der UN-Mission am Hindukusch (Unama) wurden zwischen Januar und Ende Juni bei Gefechten und Anschlägen 1662 Zivilisten getötet und 3581 weitere verletzt. Auch das stützt das Urteil politischer Bobachter, dass Afghanistan längst ein »failed state«, ein gescheiterter Staat sei.

Entscheidenden Anteil daran hat eine völlig verfehlte Politik der NATO unter Führung Washingtons, die das leidgeprüfte Land auch in einem über 13-jährigen Kriegseinsatz nicht befrieden konnte. 2015 folgte die sogenannte Ausbildungsmission »Resolute Support« für die afghanischen Sicherheitskräfte; die NATO-Soldaten dürfen offiziell nur noch »trainieren, assistieren und beraten«, und das lediglich auf höchster Ebene (Korps). Das soll sich vor dem Hintergrund weiter vorrückender Taliban, zunehmender Attentate der Terrormiliz Islamischer Staat und überforderter, erschöpfter Regierungstruppen nun wieder ändern. Zusätzliche NATO-Kräfte werden künftig auch wieder unterhalb der Offiziersebene besonders wichtige Angriffsfähigkeiten der afghanischen Armee trainieren. Dabei geht es nach Brüsseler Angaben vor allem um die Spezialkräfte, der Zahl bis 2020 auf rund 34 000 Mann verdoppelt werden soll, und die Luftwaffe; aber auch die Bereiche Artillerie und Logistik sowie das Thema Führungsqualitäten stehen auf dem Übungsprogramm.

27 der 29 Allianzmitglieder wollen sich an der geplanten Verstärkung des Einsatzes beteiligen. Laut NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, dessen Amtszeit wohl bis zum Jubiläumsgipfel anlässlich des 70. Pakt-Geburtstags 2019 verlängert werden soll, werde man die Bündnistruppen um 3000 auf dann rund 16 000 Soldaten aufstocken. Zur Zeit schwankt die Stärke zwischen 12 000 und 13 000. Noch soll man die angestrebte Truppenstärke aber nicht erreicht haben. Eine zeitliche Perspektive nannte Stoltenberg beim Treffen der Verteidigungsminister nicht. »Wir werden solange bleiben, wie wir es für notwendig erachten.«

Deutschland will zunächst die sogenannte Mandatsobergrenze ausreizen, die eine Entsendung von bis zu 980 Bundeswehrangehörigen erlaubt. Afghanistan brauche diese Sicherheit für die Wahlen im kommenden Jahr und für eine wirtschaftliche Entwicklung, die den Menschen Perspektiven gebe, sagte jetzt Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Genau dafür aber seien die Maßnahmen des Nordatlantik-Paktes falsche, weil militärische Ansatz, so Afghanistan-Experten. Nach NATO-Informationen habe Berlin zugesagt, die Beratung der »Command and Staff Academy« in Kabul zu übernehmen. Dort werden afghanische Militärs ausgebildet. Die Bundesrepublik trägt im Norden Afghanistans als sogenannte Rahmennation weiter die Verantwortung.

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