Arbeit im geliebten Lehrerberuf für Alesar Saed

Zwölf sprachbegabte Syrer haben Assistenzstellen an Schulen in Brandenburg bekommen

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.

Es gibt in Deutschland genau ein Dutzend Lehrerinnen und Lehrer, die über den Unterschied zwischen syrischen und deutschen Grundschülern Auskunft geben können. Eine davon ist Alesar Saed, die das Programm Refugee Teachers (Flüchtlingslehrer) an der Potsdamer Universität durchlief, die einen Mann und eine 9-jährige Tochter hat und seit Anfang Oktober in der Potsdamer Goethe-Grundschule als Assistenzlehrerin Mathematik unterrichtet.

»Deutsche Kinder haben in der Schule viel mehr Freiheiten als syrische. Manche nutzen das auch aus«, sagt die 30-Jährige in gutem, wenngleich etwas holprigem Deutsch. Vor ihrer Flucht hatte sie sechs Jahre als diplomierte Mathelehrerin in Syrien gearbeitet. »Erst fünf Jahre vor dem Krieg begann an der syrischen Schule ein Umdenken. Zuvor wurden die Kinder in ihrer persönlichen Entwicklung gehemmt, die Lehrer sprachen viel, die Kinder sollten vor allem zuhören. Das wurde danach ein wenig anders.«

In der 3a steht heute Division auf dem Stundenplan. Die Kinder lernen am Beispiel von Apfeltüten, das sich die 15 durch einige Ziffern ohne Rest teilen lässt, durch andere nur mit Resten. »Manchmal bleibt etwas übrig«, sagt ihre syrische Lehrerin. Offensichtlich haben sich die Kinder an ihre Aussprache gewöhnt, Verständigungsprobleme sind nicht erkennbar. Die Absolventen dieses Programms erhalten eine einjährige befristete Anstellung mit Aussicht auf Verlängerung. Was geschehen muss, damit Saed vollgültige Lehrerin werden kann, ist noch unklar. Diesen Status gibt es in der Regel nur, wenn ein Pädagoge zwei Fächer unterrichtet, was aber die wenigsten Geflüchteten in ihrer Heimat getan haben.

Auch das gehöre zu den Dingen, »über die wir nachdenken müssen«, sagt Bildungsministerin Britta Ernst (SPD). Mit Blick auf andere Seiteneinsteiger an brandenburgischen Schulen, die begleitende Studien aufnehmen müssen, fügt sie hinzu: »Es muss zu unserem System passen.«

Weil es auch drei syrische Kinder an der Goetheschule gibt, ist die neue Assistenzlehrerin doppelt willkommen, sagt Schulleiterin Anja Henkes. Kulturelle Unterschiede führen zu Reibepunkten, nicht selten zu Konflikten unter den Schülern. Wenn ein syrisches Kind längere Zeit angestarrt wird, fühlt es sich provoziert. Weil es sich in der Regel nicht gut verständigen kann, entlädt sich rasch Aggression.

Vor anderthalb Jahren begannen 45 Bewerber mit dem ersten Kurs für geflüchtete Lehrerinnen und Lehrer, die für eine Arbeit an den Schulen des Landes Brandenburg vorbereitet werden. Zwölf haben die »hohe Hürde« eines Deutsch-Abschlusses der Stufe C 1 geschafft, acht von ihnen arbeiten im Schulamtsbereich Potsdam. Andere sind zunächst an der Deutsch-Prüfung gescheitert, doch laut Universitätspräsident Oliver Günther »bleiben alle im Programm«, können die Prüfungen also wiederholen. Ihm zufolge haben 700 Bewerbungen vorgelegen, etwa 100 geflüchtete Lehrer durchlaufen derzeit die Ausbildung. Die überwiegende Zahl stammt aus Syrien. Das Refugee-Teachers-Programm an der Universität Potsdam ist deutschlandweit einzigartig. Im Januar sollen die ersten Absolventen an der Universität über ihre Erfahrungen berichten.

»Ich freue mich, dass ich diese Initiative hier in Brandenburg vorgefunden habe«, sagt Britta Ernst, die vorher in Schleswig-Holstein Bildungsministerin gewesen ist. Wer in den Schnellkurs gelangen wollte, musste eine Praxis als Lehrer vorweisen, sich sehr schnell auf Deutsch verständigen können und sein Fach durfte nicht gerade Arabisch sein. »Das steht nicht auf dem brandenburgischen Stundenplan«, bemerkt Ernst.

Die zwölf ersten Absolventen bleiben untereinander im Gespräch, man wolle schließlich wissen, welche Erfahrungen die anderen gesammelt haben, sagt Alesar Saed, die seit 2015 in Brandenburg lebt. In der ersten Zeit habe sie noch Kontakte nach Syrien gepflegt. Das habe nachgelassen. »Ich habe hier viel zu tun.« Und: »Ich freue mich und bin dankbar, dass ich in meinem geliebten Beruf arbeiten kann.« Dass die Hürde, verbeamtet zu werden, für die junge Syrerin hoch ist, dessen ist sie sich bewusst. Die Bildungsministerin denkt, dass Saed es schaffen wird. »Sie sind ja noch jung«, ermutigt Britta Ernst.

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