Weit draußen im Atlantik

Zu Fuß über mehrere Azoreninseln. Von René Jo. Laglstorfer

  • René Jo. Laglstorfer
  • Lesedauer: 7 Min.

Wir stehen mitten in einem riesigen Vulkankrater mit 14 Kilometern Durchmesser. Die letzte Eruption datiert von 1630, was erdgeschichtlich betrachtet gar nicht lang her ist«, erzählt Oliver Handler seinen zwölf Wandertouristen im azorianischen Schwefelkurort Furnas. Der Österreicher lebt seit 2011 auf den Azoren, die eigentlich Milhafres heißen müssten. »Die portugiesischen Entdecker hielten die zahlreichen Mäusebussarde für Habichte. Auf Portugiesisch heißen sie ›Açores‹, deshalb wandern wir heute auf den Azoren«, erzählt der 42-Jährige schmunzelnd seinen überraschten Zuhörern.

Alte Kirchen, Kuhherden und Maisfelder säumen den Weg nach Furnas auf der Hauptinsel São Miguel. Sie ist eine von neun Azo᠆reninseln. Im Ort selbst raucht und blubbert es, sogar aus den Kanaldeckeln. Die Caldeiras genannten Schwefelquell-Fumarolen haben vulkanischen Ursprung und verleihen Furnas etwas Mystisches - besonders bei Sonnenschein und in der Nacht, wenn die Nebelschwaden beleuchtet sind und ein einzigartiges Spiel aus Licht und Schatten bieten. In manchen Caldeiras werden Maiskolben gekocht und an Touristen verkauft. Eine Quelle hat mit 80 Grad die perfekte Temperatur, um azorianischen Tee aufzugießen, der auf den Inseln von April bis Oktober wächst.

»Ein bisschen Jurassic-Park-Feeling«, kündigt Oliver die spektakuläre Wanderung am nächsten Tag an, die durch eine Landschaft mit Riesenfarnen führt und tatsächlich an die Urzeit erinnert. Wie im Bilderbuch stürzt aus dem dichten Urwald der Wasserfall Salto de Prego rund 20 Meter tief in ein Naturbecken, das wir schwimmend erkunden. »Seinen Namen Nagel-Wasserfall verdankt er vermutlich dem Gefühl, das man auf der Haut spürt, wenn man sich unter die Wassermassen stellt«, warnt uns Oliver, der alljährlich rund 200 Wanderern aus Österreich, Deutschland und der Schweiz die schönsten Flecken des Archipels zeigt.

Zurück in Furnas beobachten wir am gleichnamigen Kratersee, wie unser Abendessen ausgegraben wird. Bei 70 bis 80 Grad gart das azorianische Nationalgericht Cozido langsam in der Erde. Es besteht aus der Morcela, einer Blutwurst, sowie aus Schweine-, Rind- und Hühnerfleisch, Gemüse, Yangwurzeln, Kraut und Erdäpfeln. »Weil es früher zu Streitigkeiten unter Familien gekommen ist, wenn der falsche Topf ausgebuddelt wurde, gibt es jetzt einen offiziellen Ausgräber der Gemeinde«, erzählt Oliver beim Abendessen.

Von der größten und bevölkerungsreichsten Insel São Miguel fliegen wir am nächsten Tag eine gute Stunde zur westlichsten Azoreninsel Flores. Sie liegt wie ihre kleine Nachbarinsel Corvo bereits auf der nordamerikanischen Platte und gehört damit zumindest geologisch zu Amerika. »Die Azoren erscheinen aus mitteleuropäischer Sicht isoliert und weit draußen am Atlantik«, sagt Oliver. »Aber auf der anderen Seite liegen sie auch zentral: Nach Toronto sind es nur fünf Flugstunden und nach Boston sogar nur vier.« Also geht unsere erste Wanderung auch gleich an das Ende Europas - zumindest im geografischen Sinne - zum letzten Felsen vor Amerika, dem »Ilhéu do Monchique«. Eine Klippenwanderung auf einem vor langer Zeit gepflasterten Fußweg vorbei an zahlreichen Bächen. Wir überwinden 800 Höhenmeter und erhalten dafür als Lohn fantastische Ausblicke auf die wild zerklüftete Steilküste und die kleinen Inseln vor Flores. Der starke Wind peitscht das Meer an, weiße Schaumkronen heben sich weit in die Lüfte - ein tolles Schauspiel.

Nach rund vier Stunden treffen wir am westlichsten Punkt Europas ein und erfreuen uns an drei riesigen Wasserfällen, die von der nachgelagerten Steilküste Hunderte Meter in die Tiefe stürzen. Dunkle Schatten fliegen mit einer unheimlichen Geschwindigkeit über das grüne Land. Sie stammen von Wolken, die so tief die steilen Hänge von Flores streifen, als würden sie den Erdboden rasieren. »Flores ist Hobbitland. Statt in Neuseeland hätte der Film ›Herr der Ringe‹ ohne Probleme auch hier gedreht werden können«, sagt Oliver, der Flores zu seinen Lieblingsinseln zählt.

Am nächsten Morgen geht es mit einem motorisierten Schlauchboot rund eine Stunde zur kleinsten und abgelegensten Azoreninsel Corvo, die eigentlich nicht mehr als ein riesiger Vulkan ist. Steilküsten mit imposanten Wasserfällen und Höhlen säumen unseren Weg und fünf verspielte Delfine gewähren uns Begleitschutz. »Es gibt Leute, die sagen, dass es dem portugiesischen Staat billiger kommen würde, alle rund 400 Einwohner von Corvo lebenslang im teuersten Fünf-Sterne-Hotel von Lissabon einzuquartieren, als die Infrastruktur auf der bevölkerungsärmsten Azoreninsel weiter aufrecht zu erhalten«, erzählt Oliver. Laut Gesetz darf ein Flug von Corvo oder Flores auf das portugiesische Festland für Azorianer nicht mehr kosten als von einer weniger abgelegenen Insel. Die Differenz refundiert der Staat.

Der Höhepunkt auf Corvo ist der erloschene Vulkan Caldeirão - mit zwei Kilometer Durchmesser und 300 Meter Kratertiefe ein grüner Riese. Im Inneren des weiten Vulkanschlundes grasen zwischen kleinen blauen Lagunen Kühe auf den Kraterweiden, an einigen der Steilhänge betreiben die Einwohner der Insel Landwirtschaft.

Noch am selben Tag geht es mit dem Flieger von Flores auf die zen᠆trale Inselgruppe, zu der auch Faial gehört. Kosmopolitisches Flair liegt in der Inselhauptstadt Horta mit seinen englischen Pubs und dem internationalen Segelhafen in der Luft. 1957 erlebten die Insulaner ein seltenes Naturereignis: Durch den gewaltigen Ausbruch des Vulkans Capelinhos ist Faial zwischenzeitlich um eine 2,4 Quadratkilometer große Halbinsel gewachsen. Gesäumt vom Grün der ehemaligen Landgrenze führt die Wanderung durch eine aus braunem Sand bestehende Marslandschaft. Eine besondere Kuriosität ist der früher am Meer gelegene Leuchtturm, der seit dem Ende des Ausbruchs mitten im Land steht und seine Funktion verloren hat. Am Ende der Rundwanderung ist der Blick auf den Vulkan Pico frei - mit 2351 Metern der höchste Gipfel Portugals und die große Herausforderung für die Wandertour am nächsten Morgen.

Schon sehr früh geht’s mit der Fähre von Horta auf die Nachbarinsel Pico, die mit ihrem Mikroklima an den fruchtbaren Vulkanhängen für den besten Wein der Azoren bekannt ist. Dicker Nebel und leichter Regen sind nicht gerade ideale Bedingungen für den Aufstieg auf das Dach des Archipels. Doch mit gutem Schuhwerk und warmer Kleidung sollte er klappen. »Viele Bergsteiger haben keine Ahnung, worauf sie sich einlassen«, sagt die 28-jährige Azorianerin Isabel, die seit 2010 im Pico Schutzhaus arbeitet. Der etwa dreistündige Aufstieg zum Kraterrand ist steil und ermüdend. Auf der Vulkanspitze Piquinho angelangt, haben wir Glück: Der Nebel reißt kurz die Wolkenbank auf und vergönnt uns einige Sonnenstrahlen, bevor es wieder zu regnen beginnt. Der Abstieg ist kräftezehrend und auf dem glitschigen Lavagestein besonders schwierig. Erstarrte Lavabäche säumen den Weg ins Tal. Viele Gesteinsbrocken sind spürbar heiß, und aus einigen Felsen raucht es - der Pico schläft nicht, er ist aktiv.

Von den Azoren bis Lissabon soll sich eine Kette von vulkanischen Unterseebergen spannen, die es - anders, als die mächtigen Vulkane Pico und Capelinhos - noch nicht geschafft haben, aus dem Meer hervorzutreten. »Wer weiß, vielleicht gibt es in den Weiten des Atlantiks ja bald eine Insel mehr zu erkunden«, sagt Oliver schmunzelnd zum Abschied.

Infos

Allgemeine touristische Infos:
www.visitportugal.com/de

Pauschalreisen: Fast alle großen Reiseveranstalter haben die Azoren im Programm.

Die beschriebene Tour »Olivers Azoren« ist eine von 14 Wander- und Kulturreisen durch Portugal, die der österreichische Spezialanbieter »Weltweitwandern« in seinem Programm hat. Die nächsten Reisetermine starten im Mai 2018. Weitere Infos und Buchungen unter: www.weltweitwandern.at

Buchtipps:
Roman Martin, »Azoren – Die schönsten Küsten- und Bergwanderungen«, 86 Tourenvorschläge sowie satellitengestützte GPS-Daten zur Nachverfolgung und Orientierung, 288 Seiten, Bergverlag Rother, 14,90 Euro

Elisabeth Mecklenburg, »Azoren-Abenteuer«, über atemberaubende Landschaften und einzigartige Augenblicke mit Walen und Delfinen auf den Azoren – 126 Seiten, Verlag CreateSpace, 16,90 Euro

Ben Faridi, »Das Schweigen der Familie«, ein Azoren-Krimi, der neben einer fesselnden Mordgeschichte auch azorianische Rezepte zum Nachkochen bietet, 211 Seiten, Verlag Oktober, 14 Euro

Reiseführer:
Michael Bussmann, »Azoren«, Michael Müller Verlag, 544 Seiten, 22,90 Euro

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