Die Pleite mit den Fischtomaten

Die roten Früchte können einiges zum Thema Gentechnik erzählen

  • Bernd Schröder
  • Lesedauer: 3 Min.

Erste gentechnische Gehversuche sollten vor Jahren der ursprünglich aus Mittel- und Südamerika stammenden Tomate zu höherer Toleranz gegenüber Umweltstressfaktoren verhelfen und beispielsweise ihre Frosthärte verbessern. Dazu wurde ihr das Anti-Frost-Gen der Winterflunder eingebaut. Im Fisch unterdrückt es das Auskristallisieren von Eis im Blutstrom. Die »Fischtomate« schaffte es letztlich nie in den Handel, vielmehr wurde sie zu einer ersten Ikone der Gentechnikdebatte, insbesondere zu Fragen der Ethik transgener Eingriffe.

Auch das erste kommerziell angebaute und zum menschlichen Verzehr zugelassene Gentech-Nahrungsmittel überhaupt war eine Tomate. Die »Anti-Matsch-Tomate« des kalifornischen Unternehmens Calgene, die 1994 unter dem Namen »Flavr Savr« auf den US-Markt kam, sollte an Geschmack gewinnen, indem Teile des Reifungsprozesses der Frucht hinausgezögert werden. Dazu wurde die Produktion des Enzyms Polygalacturonase gebremst. Das Enzym baut das Pektin in den Zellwänden ab und führt zum Weichwerden der Früchte. Mangelnde Nachfrage ließ die Tomate 1997 wieder vom Markt verschwinden, Calgene wurde von Monsanto geschluckt.

Neben Eingriffen zur Verbesserung von Haltbarkeit und Aroma wurden auch in Tomaten Gene für Bt-Toxin zum Schutz gegen Fressfeinde eingebaut. Dabei kann sich die Pflanze von Haus durchaus selber gut wehren. Ihre Wildformen, wie auch die anderer Nachtschattengewächse, kommen mit einem eindrucksvollen Arsenal von Verteidigungsmitteln daher. Da sind zum einen die Trichome - Haare auf der Blattoberfläche. Krabbelt eine Blattlaus über das Blatt, brechen die Haare in ihrem Weg und setzen zum einen eine klebrige, hochkonzentrierte Glucoseester-Lösung frei, die sich über den Eindringling ergießt. Bei einem anderen Haartyp wiederum wird eine Art von Zweikomponentenkleber frei, in dem die Laus steckenbleibt und verhungert. Für größere Insekten haben einige Tomatenarten in ihren Haaren auch noch verschiedene Gifte auf Lager.

Im Laufe ihrer Domestizierung haben die Pflanzen diese Wehrhaftigkeit eingebüßt, da sie dafür Energie aufwenden müssten - Energie, die bei Kulturpflanzen in die Gewährleistung hoher Erträge kanalisiert wird. Diese verschobene Balance muss heute ironischerweise mit hohem Pestizideinsatz wieder ausgeglichen werden.

In den 1950er Jahren spürten Wissenschaftler auf den Galapagosinseln eine Wildtomate mit einem besonderen Merkmal auf: Das geschwollene Verbindungsstück des Blütenstiels zum Fruchtkörper fehlte, die Sollbruchstelle der Pflanze, die der reifen Tomate gestattet, zu Boden zu fallen und ihre Samen zu verbreiten. Züchter jener Zeit versuchten, dieses Merkmal in ihre Tomaten einzukreuzen: Das Aufkommen der mechanischen Tomatenpflücker hatte es wünschenswert gemacht, dass die reifen Tomaten an den Pflanzen verblieben. Das überraschende Ergebnis: Die Blüten tragenden Äste produzierten viele zusätzliche Verzweigungen und gaben den Pflanzen das Aussehen von Besen - auf Kosten ihres Ertrags.

Erst kürzlich blickten Wissenschaftler hinter die genetischen Kulissen des Effekts. Sie durchsuchten dazu mehr als 4000 Sorten nach ungewöhnlichen Verzweigungsmustern. Dabei fanden sie Varianten zweier Gene, die im Zusammenspiel deutliche Verzweigungen hervorriefen, ähnlich denen, die in den Zuchtversuchen mit den Tomaten von Galapagos auftraten. Eins der beiden Gene ist verantwortlich für das Fehlen des Verbindungsstücks. Das andere Gen begünstigt die Bildung eines großen Blätterdachs.

Dieses Merkmal war offenbar ein Zuchtziel aus der Anfangszeit der Domestizierung der Tomate, die tausende Jahre zurückliegt. Unklar ist, was die alten Züchter damit bezweckten - vermutet wird, dass die Pflanzen so schwerere Früchte tragen konnten.

Die Wissenschaftler schalteten nun die Aktivität dieser Gene mit dem Gen-Editor CRISPR/Cas-9 ab, ebenso die eines weiteren Gens, das die Blütenzahl beeinflusst. Je nach Kombination erzeugten sie so eine Reihe verschiedener Tomatenpflanzen-Architekturen: von langen, spindeldürren, Blüten tragenden Verästelungen bis hin zu buschigen, blumenkohlartigen Blumensträußen. Nun sollen per Genbearbeitung Tomaten entwickelt werden, deren Verhältnis von Ästen und Blüten für eine gewünschte Fruchtgröße optimiert ist. Bernd Schröder

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