Absage an die politischen Institutionen

4. Jugendstudie der FES in Israel offenbart Rechtstrend / Regierung betreibt Politik der »Versicherheitlichung«

  • Christa Schaffmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Israels Jugend ist in den zurückliegenden vier Jahren konservativer geworden, das Vertrauen in die politischen und religiösen Institutionen geht zunehmend verloren. Das geht aus der vor wenigen Tagen vorgestellten 4. Jugendstudie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Israel hervor, an der 1264 Personen, ein Viertel davon arabische Israelis, teilnahmen. Seit 1998 führt die FES zusammen mit dem MACRO Center for Political Economics in Israel unter Jugendlichen zwischen 15 und 18 Jahren und jungen Erwachsenen zwischen 21 und 24 Jahren Folgestudien zu persönlichen, sozialen und politischen Fragen, ihren Erwartungen, Hoffnungen und Ängsten durch.

Wie die jüngste Studie zeigt, hat der Grad der Zustimmung zum Rechtssystem, der Polizei, dem Parlament, den Parteien, Gewerkschaften und Medien verglichen mit früheren Studien einen Tiefpunkt erreicht. Es herrschen als primäre Gefühle Verzweiflung und Zorn gegenüber dem Gesetzgeber vor. Einzig den Streitkräften - den Israel Defense Forces - vertrauen noch 85 Prozent der Befragten (1991: 91 Prozent).

Danach gefragt, wo sie sich selbst politisch einordnen - rechts, in der Mitte oder links -, gaben 67 Prozent »rechts« an, zehn Prozent »in der Mitte«, 16 Prozent »links«. Sieben Prozent wollten sich nicht festlegen. Schaut man auf die verschiedenen Gruppen und nicht auf die Durchschnittswerte, ergibt sich zwar ein etwas anderes Bild; der Trend nach rechts bleibt jedoch bestehen.

Unter den Säkularen sind es 49,6 Prozent Rechte, 13,3 Prozent ordnen sich der Mitte und 30,2 Prozent den Linken zu. Bei den Religiösen kreuzen 91,1 Prozent »rechts« an, 3,4 Pro-zent »Mitte« und 3,4 Prozent »links«. Die Zahlen bei den Ultraorthodoxen ähneln Letzteren stark.

Unterscheidet man zwischen jüdischen auf der einen und arabischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf der anderen Seite, so fällt auf, dass die jüdischen sich zu 67 Prozent rechts verorten, die arabischen nur zu acht Prozent. Dass sich Letztere in der 2016 durchgeführten Studie bei dieser Frage zu 42 Prozent gar nicht mehr festlegen wollen, wertete Dr. Roby Nathanson, Geschäftsführer von MACRO, in einer Podiumsdiskussion anlässlich der Veröffentlichung der Studie als bedenklich. Dazu muss man wissen, dass rechts und links in Israel weniger als in Europa eine sozioökonomische Frage ist, sondern die Haltung zur Sicherheitspolitik beschreibt.

Es gilt als Triumph der israelischen Rechten, dass vormals Linke sich deren Position in Sicherheitsfragen inzwischen weitgehend zu eigen gemacht haben. Sorgen bereitet Nathanson auch, dass mit 67,4 Prozent die Mehrheit der jüdischen Befragten inzwischen in den Lebenshaltungskosten und der sozialen Ungleichheit das Hauptproblem sieht, die Fortführung der Verhandlungen mit den Palästinensern dagegen mit 12,4 Prozent als nachrangig betrachtet. »Der palästinensisch-israelische Konflikt hat für sie keine Priorität mehr, aber er verschwindet ja deshalb nicht.«

Nathanson macht vor allem die Politik der israelischen Regierung für diese Entwicklung verantwortlich. »Der Konflikt bzw. seine Lösungsmöglichkeiten werden falsch dargestellt.« Er spricht von einer Gehirnwäsche, die von oben ausgeht. Die Demokratie werde dabei verschlissen. »Nichtregierungsorganisationen, die sich öffentlich für den Frieden einsetzen, werden in ihrer Arbeit eingeschränkt.«

Unterstützt wird Nathanson in dieser Einschätzung durch Dr. Jan Busse von der Universität der Bundeswehr in München. Die Regierung in Tel Aviv betreibe eine Politik der »Versicherheitlichung«. »Sie lenkt mit dem Sicherheitsthema von den sozialen Problemen ab«, so Busse. Israel erlebt aus seiner Sicht eine gefährliche Erosion der Demokratie. Das spiegelt sich auch in der Studie insofern wider, als die Befragten demokratischen Werten weniger Bedeutung beimaßen - und das direkt korrelierend mit starker Religiosität und rechten Positionen.

Dass es ausgerechnet eine junge arabisch-israelische Studentin ist, die auf dem Podium Optimismus ausstrahlt, überrascht. Sira Bshara aus Tira sieht im beruflichen Aufstieg, insbesondere junger Araberinnen, einen Teil des Widerstands. Für diese Gruppe gebe es weit weniger Chancen für eine Karriere im Ausland als für ihre jüdischen Altersgenossinnen. Daher konzentriere sie sich voll und ganz auf ihre Bildung. 74 Prozent der befragten jungen AraberInnen hatten in der Studie hinsichtlich ihrer persönlichen Ziele Zuversicht geäußert - 2004 waren es nur 50 Prozent -, während die Zuversicht bei den jüdischen StudienteilnehmerInnen auf 56 Prozent gesunken ist (2004 noch 74 Prozent).

Unter den Säkularen fiel die Bewertung der Aussichten in der Zukunft nie pessimistischer aus als heute. Doch die Enttäuschung vieler junger Menschen mündet nicht etwa in ein stärkeres politisches Engagement, nicht in Aktionen und Demonstrationen. Viele haben in Bezug auf gesellschaftliche Veränderungen resigniert. Nathanson appellierte an die Jugendlichen zu prüfen, ob sie wirklich der Politik ihre Zukunft überlassen wollen.

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