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»Wir ernähren die Manager«

Siemens-Beschäftigte protestieren gegen den drohenden Stellenabbau – diesmal gemeinsam

Zum ersten Mal haben Hunderte Beschäftigte aus mehreren Siemens-Standorten gemeinsam gegen den drohenden Abbau tausender Stellen demonstriert. Sie wollten in Berlin zeigen: Wir stehen zusammen, wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen. Laut hupend fuhren am frühen Donnerstagmorgen über 100 Autos mit Transparenten und Gewerkschaftsfahnen vom Dynamowerk in Spandau quer durch die Stadt nach Neukölln, wo eine Kundgebung vor Beginn der jährlichen Betriebsräteversammlung von Siemens stattfand. Verlagern, verkaufen, schließen – diese Rechnung hat das Management ohne die Beschäftigten gemacht, die in diesen Tagen deutlich machen: Still und leise wegrationalisieren lassen sie sich nicht.

Die Ankündigung habe alle in Angst und Schrecken versetzt, sagt Birgit Steinborn, Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats, auf der Bühne, aber nun wollten sie »kämpfen wie Löwen« – und wie »Bären«, wie es die Berliner Siemens-Arbeiter sagen. Gespräche mit der Konzernleitung über Standortschließungen lehnen die Arbeitnehmervertreter ab. So lange die nicht vom Tisch sind, brauche man nicht verhandeln, meinen sie. Worüber auch? »Wir sind doch keine Schafe, die zur Schlachtbank gehen«, sagt Predrag Savic, Betriebsrat im Dynamowerk, bestimmt. Hier plant der Konzern die gesamte Fertigung mit 700 Beschäftigten zu schließen. Weltweit will Siemens in den kommenden Jahren 6900 Stellen streichen, davon rund die Hälfte in Deutschland. Mehrere Werke sollen ganz geschlossen werden. Siemens hatte die Kürzungspläne in der Kraftwerks- und Antriebstechnologie mit einem »rasant zunehmenden Strukturwandel« bei der fossilen Stromerzeugung und im Rohstoffsektor begründet.

Betriebsrätin Birgit Steinborn pocht jedoch auf das Beschäftigungsabkommen von Radolfzell, das Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor über sieben Jahren unterzeichnet hatten. Darin wurden für Gewinnzeiten betriebsbedingte Kündigungen und Standortschließungen ausgeschlossen. Siemens beruft sich jedoch auf eine Klausel in dem nicht-öffentlichen Abkommen, dass beide Seiten bei einer Änderung der strukturellen Rahmenbedingungen auf dem Markt erneut miteinander sprechen.

Jeder Arbeitsplatz hat ein Gesicht

Gegen Gespräche hätte Birgit Steinborn gar nichts einzuwenden, nur sie will damit erst beginnen, »wenn es ein klares Signal vom Vorstand gibt, dass er zu Kompromissen bereit ist«. Das Unternehmen hat, so sehen es die Siemens-Arbeiter, genug Spielräume, um Investitionen und Qualifizierung zu bezahlen. Gerade erst hat der Konzern stolz einen Rekordgewinn von 6,9 Milliarden für 2016 präsentiert. Siemens-Chef Joe Kaeser wird an diesem Morgen mehrfach daran erinnert, dass es die Beschäftigten sind, die seinem Konzern und den Aktionären die Rekordgewinne einbringen. »Wir ernähren die Manager des Landes, nicht umgekehrt«, stellt Betriebsrat Savic klar.

Die Siemens-Arbeiter sind empört über die Pläne, aber auch über die Kaltschnäuzigkeit, mit der »von oben« über ihre Existenz gerichtet wird. Der Abbau wurde beschlossen, ohne die Betriebsräte vorher zu konsultieren. Sie haben davon wie die Beschäftigten aus den Medien erfahren, selbst der örtliche Bankfilialleiter wusste es früher. Die Belegschaften wurden später per E-Mail oder Videobotschaft informiert.

Wie bei Kidnappern, bei denen man versucht, Empathie für ihre Opfer zu wecken, betonen die Redner immer wieder, dass jeder Arbeitsplatz ein Gesicht hat. Thomas Clauß, Betriebsrat im Leipziger Siemenswerk, redet dem Siemens-Chef ins Gewissen: »Sie nennen sie Vollzeitäquivalente. Doch Sie entscheiden über Menschen!« Das Wort stammt aus dem Personalmanagement, es tauche bei Siemens aber auch auf Folien auf, die Beschäftigten vorgelegt werden, sagt Clauß.

Politiker, insbesondere aus den betroffenen Regionen, haben sich in den vergangenen Tagen hinter den Kampf der Siemens-Beschäftigten gestellt. In Berlin steht am Donnerstag der Chef der Senatskanzlei, Björn Böhning, auf der Bühne, der den Regierenden Bürgermeister vertritt, auch SPD-Chef Martin Schulz in roter IG-Metall-Weste wird ihnen von der Bühne Mut zusprechen, zahlreiche LINKEN-Politiker stehen unten unter den Demonstranten. Partei-Chef Bernd Riexinger und die Berliner Arbeitssenatorin Elke Breitenbach gehören dazu. Ostdeutsche Landeswirtschaftsminister haben den Siemens-Vorstand zu einem Gespräch über den geplanten Stellenabbau eingeladen. Auch hier herrscht Unverständnis. Im Thüringer Wirtschaftsministerium wird eine »Task Force Siemens« eingerichtet, die Verhandlungen mit dem Unternehmen und dem Betriebsrat begleiten soll. Die Beschäftigten begrüßen sämtliche Versuche, den Vorstand in die Pflicht zu nehmen – »wenn es nicht um Profilierung, sondern um die Sache geht«. Klar ist aber auch, direkt stoppen kann die Politik die Pläne der Konzernleitung nicht.

Wortmeldung Kaeser

Von der geschäftsführenden Bundesregierung würden sich die Siemens-Mitarbeiter mehr Unterstützung wünschen. Sie gehe davon aus, hieß es in einer Stellungnahme, dass sich die Siemens-Führung in enger Abstimmung mit den Arbeitnehmervertretern um faire Regelungen für die betroffenen Standorte kümmert. Handfester klingt ein Vorschlag der Linkspartei, die Massenentlassungen bei Unternehmen, die hohe Gewinne erwirtschaften, verbieten will. Wie genau das gehen kann, bleibt vage. Was Klaus Ernst diese Woche im Bundestag erklärte, erinnert jedoch an das VW-Modell. Man könne, sagte er in der Aktuellen Stunde am Dienstag, die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats im Kündigungsschutz-, Betriebsverfassungs- oder Aktiengesetz erweitern, so dass Schließung und Verlagerung nicht gegen den Willen des Betriebsrats beschlossen werden können.

Auch Siemens-Chef Kaeser meldete sich dieser Tage zu Wort – in einem Brief an Martin Schulz, wie der Konzern am Donnerstag mitteilte. Darin gibt er den Schwarzen Peter zurück: »Vielleicht sollten Sie sich dabei auch überlegen, wer wirklich verantwortungslos handelt: diejenigen, die absehbare Strukturprobleme proaktiv angehen und nach langfristigen Lösungen suchen, oder diejenigen, die sich der Verantwortung und dem Dialog entziehen.« Den Proteststurm gegen seine Pläne kritisiert er »als öffentlichen Wettbewerb in Populismus und Kampfparolen«. Von Rücknahme des Stellenabbaus – kein Wort.

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