Für eine neue Weltarchitektur

»Expressionistische Utopien«: Der Universalkünstler Wenzel Hablik wird im Gropius-Bau gezeigt

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 4 Min.

Es gab bisher nach dem Zweiten Weltkrieg keine einzige monografische Ausstellung von Wenzel Hablik in Berlin. Jetzt ist sie da - und sie gleicht einer Wiederentdeckung dieses kühnen Architekturvisionärs und Malers. Ohne das große Engagement der Wenzel-Hablik-Stiftung in Itzehoe, die Trägerin des dortigen Wenzel-Hablik-Museums ist, wäre sie nicht zustande gekommen. Und die Direktorin des Museums, Katrin Maibaum, die die Ausstellung kuratiert, hatte in der Sichtung, Vorbereitung und Darstellung des so heterogenen Materials die Hauptlast zu tragen.

Nachdem er 1908 nach Itzehoe in Holstein übergesiedelt war, schuf Wenzel Hablik neben seinem über 500 Bilder umfassenden malerischen Werk Entwürfe für Inneneinrichtungen und Mobiliare, für Stoffe, Stickereien, Bildgobelins, Silberbesteck und -gerät, Schmuck und Porzellan und sogar für den Ausdruckstanz. Mit seiner Frau, der Weberin Elisabeth Lindemann, führte er eine Handweberei, verwirklichte Inneneinrichtungsaufträge und beschäftigte sich immer wieder mit utopischen Architekturentwürfen. Ein »Märchenbilderbuch mit den Schlössern von Fels auf Luft« entstand. Mit der Kombination von Bild und Schrift fand er in dem Radierzyklus »Schaffende Hände« (1909) die Ausdrucksform, um eine Fülle neuer Naturelemente aufzunehmen. Sich selbst sah er als Teil und wissenden Beobachter der Natur.

Wie zuvor in der Bergwelt seiner westböhmischen Heimat, in der er seine malerische Handschrift fand, hatte er dann im Meer das »Walten schaffender Kräfte in der Natur« gefunden: Senkrechte, nebeneinander gesetzte Spachtelstriche, häufig in Schwarz und reinem Weiß, charakterisieren die vom Sturm aufgepeitschte Gischt, horizontale, fast linear ausgearbeitete Farbschichten das leicht bewegte, auf den Sturm wartende Meer (»Sylt Brandung«, 1907, Öl auf Leinwand).

Zeit seines Lebens sah Hablik im Kristall das Walten »schaffender Elemente« in der Natur verkörpert, stellte dann diesem Symbol der Naturschöpfung das synthetische Material Glas gegenüber. Seine Kristallbauten sollten die Utopie einer künftigen Welt mit einer gemeinschaftlich organisierten, solidarischen Gesellschaft beschwören. Der Mensch sollte eine der Naturschöpfung ebenbürtige Weltarchitektur errichten. Sein Repertoire utopischer Entwürfe erweiterte er durch monumentale Gemälde eines von phantastischen Planeten durchquerten »Universums«.

Er zeichnete »Fliegende Siedlungen«, entwarf »Künstlerhäuser« im Hochgebirge, Denkmäler und Aussichtstürme auf offenem Meer. Sein Projekt eines »Schautempels« von 1914 - Glas, Prismen, Licht und Farbe sollten sich hier zu einer Inszenierung des Raums verbinden - ähnelte Bruno Tauts »Monument des Eisens« (1913) und dessen 1914 auf der Kölner Werkbundausstellung gezeigtem »Glashaus«. Habliks utopische Architektur- und Technikvisionen reichen vom Symbolismus über den Jugendstil bis zum Expressionismus.

Das Ende des Ersten Weltkrieges kommentierte er mit seinem Gemälde »Zerstörung« (1917), auf dem Baukörper einer archaischen Kultur in einem Inferno explosiver Flammengarben zerbersten. Als Pendant und Fortsetzung dazu malte Hablik 1918 »Der Weg des Genius«, auf dem sich eine rote Gestalt über die Schluchten im Gebirge emporarbeitet und Körper und Arme einem von Planeten umflogenen Kristallbau entgegenstreckt. Mit dem Entwurf einer utopischen Architektur in kristallinen Formen und der Errichtung einer neuen Gesellschaft befasste sich Hablik als Mitglied der Gruppe »Gläserne Kette«, die nur durch Rundbriefe und Zeichnungen kommunizierte.

Er entwarf jetzt eine utopische Welt: Riesige architektonische Komplexe in kristallinen Formen türmen sich über Bergspitzen auf und verkünden die Idee einer weltumspannenden Gesellschaft. Auch wenn Hablik als der früheste Entwerfer kristalliner Architekturen gelten muss, entstand doch sein zweiter großer Werkkomplex zu diesem Thema, den er erst 1925 mit einem weiteren großen Radierwerk »Zyklus Architektur« abschloss, unter dem Endruck der Aktivitäten Bruno Tauts, des »Arbeitsrats für Kultur« und der anderen Mitglieder der »Gläsernen Kette«. Danach entstanden von ihm keine weiteren Arbeiten zum Konzept einer utopischen Welt.

In seinem eigenen Wohnhaus in Itzehoe verwirklichte Hablik Anfang der 1920er Jahre mit buntfarbigen Wandgestaltungen in den mäandrierenden Formen des Wismutkristalls, futuristischen Architekturgemälden, kristallinen Metallobjekten und den großen Gemälden vom Universum seinen ersten »Übergangsbau« auf dem Weg zur Utopie. Mit den Mitteln von Malerei, Plastik, Farbe und Ornament hatte der Künstler einen Schwebezustand zwischen Wirklichkeit und Utopie arrangiert und eine der differenziertesten abstrakten Raumgestaltungen dieser Zeit geschaffen.

1933 ließ er allerdings - aus Furcht vor den Nazis? - die Malerei im Esszimmer unter Tapeten verbergen. Erst 2013 wurde sie wieder freigelegt. Eine Rekonstruktion des Zimmers ist in der Ausstellung zu sehen, die man mit ungläubigem Staunen durchwandert. Denn während Walter Gropius und Bruno Taut ihre sozialutopischen Ideen in die Realität umzusetzen suchten, blieb Hablik - bis auf wenige Ausnahmen - bei seinen utopischen Gedankenspielen.

»Wenzel Hablik - Expressionistische Utopien. Malerei, Zeichnung, Architektur«, bis zum 14 Januar im Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, Mitte

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