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Der Seh-Mensch

Alexander Kluy hat eine Hommage auf George Grosz verfasst

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 4 Min.

»Ein kleines Ja und ein großes Nein« - dergestalt und gekonnt ambivalent überschrieb George Grosz »sein Leben, von ihm selbst erzählt«. Der Untertitel deutete Distanz an. Das Buch ist zuerst 1946 in den USA erschienen. Dorthin war der Maler und Antifaschist, seiner Verfolgung und Verhaftung durch die Nazis zuvorkommend, schon 1933 ausgewandert. Er kehrte nur zum Sterben 1959 in seine Heimatstadt Berlin zurück.

• Alexander Kluy: George Grosz. König ohne Land.
Biografie. DVA, 476 S., geb., 25 €.

Dem herausragenden Künstler und schonungslosen Realisten der Moderne, über den Kurt Tucholsky bemerkte: »Niemand hat das moderne Gesicht des Machthabenden so bis zum letzten Rotweinäderchen erfasst wie George Grosz«, widmet Alexander Kluy eine detailreiche, einfühlsame und glänzend geschriebene Biografie. Sie erzählt über das Leben einer widerständigen Persönlichkeit, verfolgt dessen Lebensstationen - Berlin, Hinterpommern, Dresden, Berlin und immer wieder Paris - sowie die Flucht und das Vierteljahrhundert Refugium in den USA.

Der schon durch eine ausgezeichnete Biografie über Joachim Ringelnatz ausgewiesene Publizist behandelt natürlich besonders ausführlich das überreiche Werk des Künstlers. Der Verlag hat dem Buch einen schönen kleinen Bildteil spendiert, der allerdings nicht annähernd das Gesamtwerk von Zeichnungen, Skizzen, Gemälden und Collagen widerspiegeln kann.

Schon als Kind kommt der 1893 in Berlin geborene Georg Ehrenfried Groß mit dem preußischen Militär in Berührung. Als sein Vater - Georg ist gerade sieben Jahre alt - plötzlich stirbt, nimmt seine Mutter eine Stellung als Köchin im Offizierskasino der Blücher-Husaren im pommerschen Stolp an. Zackige Hochnäsigkeit der Monokelträger, verlogene Vornehmheit der Uniformträger, Herrenmenschentum und Machtanspruch der das wilhelminische Preußen beherrschenden Gesellschaftsklasse brennen sich ins Gedächtnis des heranwachsenden Georgs tief ein. Er erkennt sie wieder, als der Erste Weltkrieg verloren ist, die Novemberrevolution verspielt wird und Weimar keinen neuen Anfang findet.

Georg wird ein Linker, findet in der Kunstakademie in Dresden eine konventionelle Ausbildung, danach verständnisvollere Lehrer in Berlin. Er fängt an, seine zunächst in der gerade gegründeten Kommunistischen Partei Deutschland geschärfte politische Überzeugung künstlerisch umzusetzen, geißelt die traurige wie gefährliche Wirklichkeit, die er täglich intensiv als ein Seh-Mensch wahrnimmt.

Er will diese Wirklichkeit verändern helfen. Seine Bilder sind schonungslos, finden zunehmend Anerkennung im linksliberalen Bürgertum und werden zur politischen Gegenpropaganda wider den erneut erstarkten militaristischen Geist eingesetzt. Vom organisierten Kommunismus verabschiedet sich der sich nun George Grosz nennende Künstler. Er wird aber kein »Renegat«, bleibt ein Linker, will sich jedoch seine Unabhängigkeit und seine geschärfte Individualität als Künstler bewahren.

Kluy verfolgt dessen künstlerische Weiterentwicklung, seine maßgebliche Beteiligung an der neuen Kunstform des Dadaismus, referiert dessen politische Entwürfe, vergisst nicht die eindrucksvollen, engagierten Buchillustrationen und gibt Einblick in die sich täglich füllenden Skizzenblöcke von Grosz - Steinbrüche für spätere ausführlichere Zeichnungen, zunehmend auch für Gemälde.

Grosz ist bekannt und beliebt bei den Ausgebeuteten und Unterdrückten, Andersdenkenden und politischen Aktivisten, hingegen verhasst bei den Herrschenden und Hütern alter Traditionen. Er wird in Prozesse verstrickt, in denen die Freiheit der Kunst in allen Instanzen zu verteidigen ist.

Der Biograf berichtet anhand der überlieferten Tagebücher und des Briefwechsels, aus denen er ausgewählt zitiert, von Begegnungen mit linken und progressiven Größen seiner Zeit. Die zahlreichen klangvollen Namen lassen die Biografie wie ein »Who is Who« der Weimarer Zeit erscheinen. Zugleich wird hier deutlich, wie dünn die Schicht demokratischer Kreise in der zusehends vom rechten Mob gefährdeten Republik ist. Gute Vernetzung ist für den mutigen Künstler überlebenswichtig, auch zur Sicherung des Lebensunterhalts. Seine materielle Lage bleibt prekär. In seiner Frau hat er eine solidarische, ihn stets unterstützende Partnerin.

In den USA muss Grosz sich als Lehrer an einer privaten Kunstakademie verdingen, ehe er als Immigrant und Flüchtling vor den Nazis Anerkennung erfährt, Preise erringt und Verkäufe erzielt. Die Inhalte seiner Arbeiten sind nun weniger politisch, sein realistischer Stil ist in einer zunehmend vom abstrakten Expressionismus beherrschten Kunstwelt nicht mehr gefragt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg sieht er keine künstlerische Zukunft mehr in den USA und kehrt 1959 in das Westberlin des Kalten Krieges zurück, wo er wenige Wochen später auf wenig würdige Weise stirbt. Nicht weit von Ringelnatz entfernt wird der Antimilitarist - Ironie der Geschichte - ausgerechnet auf dem Friedhof an der Heerstraße beerdigt.

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