Rechter Mainstream schwer zu knacken

Nach drei Jahren R2G herrscht auf dem LINKE-Parteitag in Ilmenau Frustration über mangelnden Erfolg

  • Sebastian Haak, Ilmenau
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie hatte es angekündigt und sie lieferte: Auf dem Landesparteitag der Thüringer LINKEN in Ilmenau am Wochenende zog die bisherige und auch neue Vorsitzende der Partei, Susanne Hennig-Wellsow, schonungslos und offen eine Zwischenbilanz der Lage im Freistaat. Sie bescheinigte gleichsam der Regierungskoalition, bei allen Erfolgen von Linkspartei, SPD und Grünen habe das Bündnis bislang nicht den grundlegenden Politikwechsel erreicht, den man sich vorgenommen habe.

Obwohl Rot-Rot-Grün seit 2014 Thüringen regiere, sei es den Linken nicht gelungen, diese politische Mehrheit in eine gesellschaftliche Mehrheit zu verwandeln, erklärte Hennig-Wellsow am Samstag in einer Grundsatzrede. Das zeige sich unter anderem darin, dass etwa 51 Prozent der Thüringer bei der Bundestagswahl im September konservativ oder extrem rechts gewählt hätten. »Der Mainstream tickt rechts-konservativ.« Dann fügt sie noch deutlicher an: »Es ist uns nicht gelungen, in den vergangenen drei Jahren eine gesellschaftliche Mehrheit zu erzeugen.« So paradox das klingt: Es ist eine ihrer besten Reden seit Langem. Wohl auch, weil sie so ehrlich ist.

Frenetischen Beifall bekommt Hennig-Wellsow für ihre Wort allerdings nicht. Überhaupt geht die Grundsatzdebatte zum Stand der Partei ziemlich emotionsarm vor sich. Auch der erste LINKE-Ministerpräsident Deutschlands Bodo Ramelow erhält für seine - inzwischen gewohnt - globalen Worte eher freundlichen als euphorischen Beifall. Er spricht über Schwangerschaftsabbrüche, Kinderarmut und die Panama- beziehungsweise Paradise-Papers. Wobei der wenige Beifall auch damit zu tun haben mag, dass die LINKE-Mitglieder in Thüringen eben so ernüchtert vom Bundestagswahlergebnis sind.

Das nämlich liegt in etwa auf dem Niveau, auf dem die Partei auch in den anderen ostdeutschen Bundesländern abgeschnitten hat - obwohl die Partei in Thüringen seit drei Jahren das erste Mal in der jüngeren deutschen Geschichte die Regierung eines Bundeslandes anführt. Die Thüringer LINKE musste bei den Bundestagswahlen im September sogar massive Verluste hinnehmen - in Umfragen zur Landtagswahl 2019 gibt es darüber hinaus seit Monaten schon keine stabile Mehrheit für Rot-Rot-Grün im Freistaat mehr. Bereits vor dem Parteitag hatte Hennig-Wellsow dies beklagt. Und eben eine schonungslose Analyse der Lage angekündigt.

Bei der Bundestagswahl im September hatte die Thüringer Linkspartei 16,9 Prozent der Zweitstimmen im Freistaat erhalten. Bei der Bundestagswahl 2013 waren es noch 23,4 Prozent gewesen. Selbst in Hochburgen wie der Region Suhl war die Zustimmung zuletzt eingebrochen.

Für die Lage der Linkspartei im Land sieht Hennig-Wellsow mehrere Gründe: Einerseits hätten sie und ihre Partei unterschätzt, welcher Gegenwind der LINKEN und Rot-Rot-Grün ins Gesicht blasen werde, sagte sie. Selbst bei dem geplanten kostenfreien Kita-Jahr seien einige Träger bestrebt, die Idee hinter dem Projekt zu hintertreiben, indem sie Beitragserhöhungen durchzusetzen versuchten. Andererseits habe die Partei es zuletzt auch nicht geschafft, genug mit den unzufriedenen Menschen zu sprechen, für die sie Politik machen wolle. Besonders dies - das verspricht Hennig-Wellsow an diesem Wochenende dutzendfach und andere Linkspartei-Mitglieder tun es ihr gleich - wolle sie ändern.

Ein Ausweis dafür, wie weit die Analyse der 40-Jährigen in der Partei geteilt wird, ist, wenn schon nicht der Beifall, dann vielleicht das Ergebnis, mit dem die Politikerin noch am Samstag in ihrem Amt bestätigt wurde. Bei ihrer Wiederwahl erhielt sie etwa 85 Prozent der Delegiertenstimmen - deutlich mehr als bei der Abstimmung auf dem Parteitag vor zwei Jahren. Damals hatte sie etwa 75 Prozent erhalten. Einen Gegenkandidaten hatte Hennig-Wellsow diesmal, anders als vor zwei Jahren, nicht.

Was allerdings konkret aus der überwiegend düsteren Analyse für die Partei folgen soll, ist derzeit noch ziemlich unklar. Auch wenn Hennig-Wellsow sagt: »Keine Lage ist so beschissen, dass man nicht was draus machen könnte.« Sie wirbt demnach für einen Neuaufbruch. Dass auf dem Parteitag oft die Rede davon ist, dass die LINKE wieder stärker »die Systemfrage« stellen oder sich wieder deutlicher auf den Kampf gegen Armut konzentrieren müsste, ist so wie Ramelows Rede: global. Aber nicht konkret.

Gleichzeit macht Landeschefin Hennig-Wellsow aber deutlich, dass aus ihrer Sicht die LINKE auch in Zukunft zu allererst eine Partei der Ostdeutschen sein müsse. »Keine andere Partei wird die Interessen der Ostdeutschen so vertreten, wie wir es können«, sagt sie. Zudem müsse der Kampf gegen Rechts zentral für ihre Partei sein. »Ein Kern unserer politischen Existenz ist der Antifaschismus.«

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