Bloß nicht ins Schiller-Theater

Die Komische Oper feiert ihren 70. Geburtstag mit dem Musical-Klassiker »Anatevka« - und stellt sich auf schwierige Zeiten ein

  • Esteban Engel
  • Lesedauer: 3 Min.

Lange sei die Komische Oper das Aschenputtel gewesen. »Die Hierarchie war klar: Staatsoper, Deutsche Oper und dann wir.« Doch nun, sagt Intendant und Chefregisseur Barrie Kosky, werde nach neuen Regeln gespielt. Tatsächlich ist die Komische Oper seit dem Antritt des Australiers vor fünf Jahren zum hippen Musiktheater Berlins aufgestiegen. Zum 70. Geburtstag, der an diesem Sonntag gefeiert wird, steht das Haus so gut da wie noch nie. Ob »Pelléas et Mélisande«, »West Side Story« oder »Ball im Savoy« - mit einer Mischung aus Oper, Musical und Operette hat Kosky (50) sein Haus als mondänes Aushängeschild der Hauptstadt etabliert.

Im Dezember 1947 hatte die sowjetische Militärverwaltung den österreichischen Regisseur Walter Felsenstein mit der Leitung des Operettentheaters im Osten Berlins beauftragt. Felsenstein revolutionierte von hier aus die Oper mit seinen psychologischen, mehrdimensionalen Figuren. Zu seinen Schülern gehörten Regiemeister wie Götz Friedrich, Harry Kupfer und Joachim Herz.

Als Kosky Mitte 2012 sein Amt antrat, löste er eine kleine Revolution aus. Er gab das Dogma auf, alle Opern müssten auf Deutsch gesungen werden. Kosky führte Untertitel ein, auch auf Türkisch. Sofort wurde die Komische Oper »Opernhaus des Jahres«. Seitdem ging die Auslastung von 66 auf 86 Prozent hoch, die Ticketeinnahmen legten von drei auf sechs Millionen Euro zu. »Dabei haben wir 17 Millionen Euro weniger an Zuschuss als die Staatsoper«, sagt der Intendant.

Zum Geburtstag hat Kosky einen Musical-Klassiker ausgesucht: »Anatevka«, weltberühmt unter dem Titel »Fiddler on the Roof«. Damit besinnt sich die Komische Oper auf ihre Tradition. Felsenstein hatte die »Liebesverwicklungsheiratstragikomödie« von Jerry Bock, die in einem jüdischen Schtetl im alten Russland spielt, mehr als 500-mal aufgeführt - so oft wie keine andere Produktion des Hauses bisher. Diesmal führt Kosky Regie.

Der australische Enkel jüdischer Einwanderer aus Osteuropa erinnert die Komische Oper stets an ihre Wurzeln. Einst gehörte das Haus dem Metropol-Theater, Berlins Operetten-Tempel. Mit seinem Programm erfüllt Kosky wohl auch eine Sehnsucht nach den »goldenen Jahren« der Weimarer Republik: »Wir sind ein wichtiges Stück Berliner Geschichte, das einzige Berliner Opernhaus, das das Ende des 19. Jahrhunderts mit dem 21. Jahrhundert in seiner Originalarchitektur verbindet.«

Kosky weiß, dass sich das Opernpublikum rasant ändert. »Die Zuschauer kaufen keine Karte, weil die Komische Oper ›hip‹ ist. Der Erfolg der letzten fünfeinhalb Jahre liegt in unserem breiten Spektrum begründet.« Die Idee, dass ein erfolgreiches Opernhaus im 21. Jahrhundert mit nur einer Gruppe von Zuschauern bestehen könne, sei nicht zu halten. »Wer zu Schönbergs ›Moses und Aron‹ kommt, muss nicht unbedingt zu ›West Side Story‹ kommen. Das finde ich auch in Ordnung.«

Trotz großer Erfolge und steigender Besucherzahlen stehen der Oper schwere Zeiten bevor. Das Gebäude muss dringend saniert werden. Doch ins Schiller-Theater, wo Barenboims Staatsoper während der Sanierung des Hauses Unter den Linden überwinterte, will Kosky auf keinen Fall. »Das wäre der Todesstoß für uns.« Er hat dem Senat einen Plan vorgelegt, wie die Komische Oper für die Dauer der Sanierung, voraussichtlich fünf Jahre, überleben kann. Er denkt an »wunderbare, radikale Spielstätten«, die man wechselnd nutzen könne.

Ob Kosky selber die »Zeit des Exils« mitmacht, ist offen. Sein Vertrag läuft bis 2022. »Ich denke, zehn Jahre reichen.« Er habe »unglaubliche Angebote« bekommen, aus Süddeutschland, London, den Niederlanden, Wien. Doch er wolle nicht unbedingt wieder eine Oper leiten. »Ich bin Theaterkünstler, und die Verantwortung, ein Haus zu leiten, ist eine sehr große, die ich sehr ernst nehme.« Er werde dafür gut bezahlt, habe aber fast kein Privatleben.

»Meine Psychotherapeutin hat lange, lange daran gearbeitet, dass ich mich nicht damit beschäftige, was in vier Jahren passieren könnte«, sagt Kosky. »Ich versuche, etwas erwachsener und weiser zu sein und das Hier und Jetzt zu genießen.« dpa/nd

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