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Vom Versteigern und Versagen

Nachgefragt: Wie konnten Dokumente aus dem Nachlass von Walter Ulbricht unter den Hammer gelangen? Von Robert Allertz

  • Robert Allertz
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Zeitungen vermeldeten jüngst bundesweit, dass in Hamburg Privatdokumente von Lotte und Walter Ulbricht versteigert worden seien. Der zitierte Auktionator zeigte sich höchst zufrieden. Statt der erwarteten 10 000 Euro habe er 35 000 eingenommen. Zu Recht fragte wenige Tage nach der profitablen Versteigerung der in Neubrandenburg erscheinende »Nordkurier«: »Woher kamen die Dokumente des einstigen SED-Chefs, die in Hamburg versteigert wurden?«

Die Frage wurde an den Auktionator Carsten Zeige gestellt. Der antwortete, dass der »Einlieferer vorbehaltlos Eigentümer der Dokumente« gewesen sei, ohne jedoch dessen Namen zu nennen: »Die Dokumente waren Privatbesitz der Familie Ulbricht und nicht im Besitz irgendeines Parteiarchivs.« Natürlich stammten die Dokumente nicht aus »irgendeinem Parteiarchiv«. Denn aus einem Archiv etwas zu entwenden ist unmöglich oder leicht feststellbar, weil jedes Fitzelchen Papier, dessen Herkunft wie auch jeder Nutzer protokolliert werden.

Zu Lebzeiten gab Ulbricht alles, sich seiner historischen Bedeutung bewusst, ins Zentrale Parteiarchiv der SED (ZPA). Am 28. Juli 1971 notierte er seinen »Letzten Willen«, in welchem er - neuerlich - erklärte, dass »meine Frau Lotte das Verfügungsrecht über mein gesamtes persönliches Eigentum« erhält. Ausgenommen die Auszeichnungen. »Meine Orden bitte ich dem Museum für Deutsche Geschichte zu übergeben.« Dort, befinden sie sich seit 1975 - allerdings nicht mehr im Museum für Deutsche Geschichte, das es nicht mehr gibt; in dessen Domizil Unter den Linden in Berlin zog das Deutsche Historische Museum.

Bereits am Tag nach Ulbrichts Ableben legte sein Nachfolger Erich Honecker fest, wie mit dem Nachlass zu verfahren sei, das Politbüro entschied tags darauf. Schon seit dem 21. Mai 1973 hatte der persönliche Mitarbeiter des schwer kranken Ulbricht, Herbert Jung, Unterlagen aus dessen Büros im ZK und im Staatsrat ins ZPA überführt. Mitte der 1970er Jahre übergab Lotte Ulbricht diesem weitere persönliche Dokumente und dienstliche Vorgänge: »unerschlossen, überwiegend lose und in Bündeln«.

Das ZPA ist heute Teil der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR, bekannt unter dem Kürzel SAPMO. Dass derart wichtiges Archivgut aus der DDR geschlossen gerettet wurde, ist namentlich Gregor Gysi und Klaus Höpcke zu verdanken. Im Einigungsvertrag fand das Thema nicht statt. Die beiden genannten und weitere engagierte Genossen gaben keine Ruhe, bis 18 »Einbringungsverträge« unterschrieben, das Bundesarchivgesetz geändert worden war und endlich am 4. Januar 1993 die unselbstständige Stiftung des öffentlichen Rechts unter dem Dach des Bundesarchivs in der Berliner Finckensteinallee, eben SAPMO, ihre Arbeit aufnehmen konnte. Zusammen mit dem Gesamtbestand »Zentralkomitee der SED« wurden dort auch die Archivalien der Provenienz »Büro Walter Ulbricht« eingebracht.

Lotte Ulbricht verstarb 2002. Ihr Nachlass und das, was sie noch von ihrem Mann besaß, kamen ebenfalls ins Bundesarchiv. So hatte sie es am 3. Juli 1995 im Beisein ihres Rechtsanwalts Grischa Worner in einer notariell beglaubigten »Vermächtnisanordnung« verfügt: »Ich bin Eigentümerin der persönlichen Unterlagen und Gegenstände von Lotte und Walter Ulbricht ... Hierbei handelt es sich insbesondere um Ausweise, Urkunden, Korrespondenzen, Reden, Artikel, Erinnerungen, Auszeichnungen, Aufzeichnungen jeglicher Art, Fotos und ähnliches ... Alle diese Sachen soll als Vermächtnis die Partei des Demokratischen Sozialismus in Deutschland erhalten. Zu den vorgenannten Sachen und Gegenständen gehört der gesamte Nachlass von Walter Ulbricht, der dem damaligen Zentralen Parteiarchiv übergeben worden ist.«

Wie nun gelangten Privatdokumente der Ulbrichts nach Hamburg unter den Hammer? Vom Auktionshaus war nur zu hören, sie stammten aus dem »Privatbesitz der Familie Ulbricht«. Zu dieser gehörten die 1991 in ihrer Wohnung erschlagene Adoptivtochter Beate (der Täter ist bis heute nicht ermittelt), die zwei Kinder, die sie hinterließ, sowie die 1931 in Paris geborene Tochter von Walter Ulbricht, Rose Michel, Mutter von zwei Kindern. Mehr Familie gibt es nicht. Es ist auszuschließen, dass Lotte und Walter Ulbricht jemals private Dokumente, die zugleich politischen Wert besaßen, diesen Personen freiwillig zur freien Verfügung überlassen hätten, schon gar nicht Dritten. So bleibt nur die Vermutung, dass die Dokumente auf nicht ganz legale Seite beiseite geschafft worden sind. Das Auktionshaus bestreitet freilich jegliche illegale Handlung.

Die obskure Versteigerung hat noch eine politische Seite: Eine Woche vor der Auktion schlug Gysi den damaligen Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn vor, sich an das Auktionshaus zu wenden, im Namen der Partei Anzeige gegen Unbekannt wegen Diebstahls zu erstatten und Rechtsanwalt K. in Hamburg zu beauftragen, eine Einstweilige Verfügung zu beantragen. Das alles unterblieb. Die Auktion fand statt. Ohne die Linkspartei. Was wiederum die Frage aufwirft, wie die Partei zu ihrem materiellen und ideellen Erbe steht. Man kann sich auch auf den wissenschaftlichen Standpunkt zurückziehen, den Ilko-Sascha Kowalczuk artikulierte. Laut dem jeglicher Sympathien für die DDR unverdächtigen Historiker gehören die Dokumente ins SAPMO. Er vermutet, dass sie Lotte Ulbricht in deren letzten Lebensjahren abhanden kamen - »wohl ziemlich zweifelsfrei gegen ihren Willen, da sie ihren Nachlass sehr sorgsam pflegte«.

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