Phantom Wählerwille

Uwe Kalbe über verführerische Umfrageergebnisse pro Große Koalition

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 1 Min.

Leicht konsterniert wirkt die Wählerschaft, die regelmäßig nach ihrer Präferenz gefragt wird: Was wäre ihre liebste Regierungskoalition? So, als schickte sie sich in die ausweglose Lage, befürwortet sie nun - mehrheitlich - die Große Koalition, die sie am 24. September mit einem Stimmpunkteabzug von 14 Prozent erst heimgeschickt hatte. Anders als Politiker, die das Regierungsfeilschen selbst betreiben müssen, sind Wähler nur ihrem Gewissen verpflichtet. Wieso also wechseln sie ihre Meinung von der Abwahl der Großen Koalition über die Bevorzugung einer Jamaika-Koalition nun hin zu einer Großen Koalition - so, als seien sie nur die Claqueure der jeweiligen Parteienäußerungen samt taktischer Schwenks?

Parteien neigen dazu, diese Umfragen als Bestätigung zu empfinden. Doch das ist voreilig. Der Wähler weiß: Er kauft künftiges Regierungshandeln in Form eines theoretischen Programmangebots, was als »Katze im Sack« nicht schlecht beschrieben ist. Nicht Koalitionen werden gewählt, sondern politische Versprechungen. Koalitionen deklarieren sich freilich gern zum Ausdruck eines Wählerwillens. Wenn die SPD nun Sondierungen mit der Union beginnt, kann sie sich auf ihre Verantwortung für den Staat berufen oder auf die Nötigung des Bundespräsidenten. Am wenigsten aber auf den Wählerwillen. Das sollte sie im Auge behalten.

Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen

Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.