Weihnachten in der Notwohnung

Mieter demonstrierten in der Dortmunder Innenstadt

  • Wolfgang Dahlmann, Dortmund
  • Lesedauer: 3 Min.
Drei Monate nach der Zwangsräumung des sogenannten Hannibal-Hochhauses in Dortmund (Nordrhein-Westfalen) gehen die Mieter auf die Barrikaden. Sie wollen schnellstens zurück in ihre Wohnung oder ausreichend Geld für ein neues Zuhause. Sie könnten nichts dafür, dass der Komplex aus Brandschutzgründen über Nacht geräumt wurde und seitdem leer steht. 752 Bewohner mussten quasi über Nacht aus dem Hochhaus.

»Ich habe von der Räumung im Krankenhaus erfahren«, sagt Ginda Mathiaka während der Mieterdemonstration am Samstag in der Dortmunder Innenstadt. Ihre Söhne mussten eine Notwohnung der Stadt mit den Behörden organisieren. Begeistert ist Ginda Mathiaka trotz jener Wohnung nicht. Die liegt am anderen Ende der Stadt und Versprechungen, Umzugswagen oder Taxikosten würden übernommen, hätte die Stadt nicht gehalten, schimpft sie. Vom Betreiber Intown will sie wissen, wann sie zurückkann. »Die sollen sagen, wann die Arbeiten anfangen. Ich will nirgendwo anders hin. Ich warte auch drei Jahre.«

Die Berliner Firma schweigt aber. Sie prüft, was zu machen ist, nachdem die Stadt das weitläufige Terrassenhochhaus mit bis zu sechszehn Etagen und Hunderten Wohnungen kurzfristig geschlossen hatte. Viele Mieter halten Intown für einen Immobilienhai. »Intown enteignen!« und »Hannibal II in öffentliches Eigentum!« fordern sie.

Mehrere Mieter sind auch erbost, weil Hannibal vielfach als heruntergekommener Komplex für sozial Schwache dastehe. Das sei aber nicht so, viele Wohnungen seien in Eigeninitiative luxuriös ausgestattet worden.

Barbara Landowska hatte so eine Wohnung: 90 Quadratmeter, Laminat, selbst gemacht. Dreimal ist sie umgezogen seit der Räumung. Jetzt hat sie eine feste Wohnung von der städtischen Gesellschaft Dogewo in einem anderen Vorort. »Zuerst war ich bei einer Freundin. Dann war ich in zwei Notunterkünften der Stadt.« Jetzt zieht sie das vierte Mal um. Die neue Wohnung ist 20 Quadratmeter kleiner, kostet aber mit 560 Euro ohne Heizung das gleiche. »Ich ziehe da mit meiner 15-jährigen Tochter ein«, sagt Landowska. Die muss künftig von Hörde nach Dorstfeld zur Schule pendeln, Luftlinie etwa fünf Kilometer.

Sauer ist die 40-Jährige nicht nur über die vielen Umzüge. »Ich muss auch fast alles selber bezahlen. Für die Renovierung der neuen Wohnung habe ich 140 Euro bekommen. Und die alten Möbel passen wegen der Größe nicht einmal alle hinein.« Die 40-Jährige ist selbstständig in der Gebäudereinigerbranche. Auch wenn sie nicht jeden Euro umdrehen muss; das Vorgehen hält sie für ungerecht. Sie habe ja nicht von sich aus umziehen wollen.

Eine dauerhafte Bleibe haben die wenigsten der 752 Hannibal-Mieter gefunden. Hunderte müssen Weihnachten in Übergangslösungen verbringen. 90 wohnen in Heimen, 254 in Notfallwohnungen der Stadt. Rund 200 Menschen haben auf dem Wohnungsmarkt etwas gefunden. Wann die Mängel im Hochhauskomplex behoben sind, und diejenigen zurückkönnen, die wollen, das weiß keiner.

Der Krisenstab der Stadt hatte zuletzt erklärt, für die Arbeiten würden rund zwei Jahre benötigt. Intown schweigt. Fest steht, dass Intown die Stadt verklagt hat, weil sie das Gebäude überstürzt und zu unrecht geräumt habe. Die Stadt ihrerseits will die entstandenen Kosten von Intown ersetzt bekommen. dpa/nd

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