Machtvakuum in Honduras

Offiziell gibt es einen Wahlsieger in dem zentralamerikanischen Land, doch die Opposition erkennt ihn nicht an

  • Martin Reischke
  • Lesedauer: 4 Min.

Auch mehr als drei Wochen nach der Präsidentschaftswahl vom 26. November in Honduras ist weiterhin unklar, wer das zentralamerikanische Land in Zukunft regieren wird. Zwar hat die oberste Wahlbehörde am vergangenen Sonntag den amtierenden Präsidenten Juan Orlando Hernández zum offiziellen Wahlsieger erklärt, doch die Proteste der Anhänger von Oppositionskandidat Salvador Nasralla gehen unvermindert weiter. Nasralla und seine »Allianz gegen die Diktatur in Honduras« - ein Bündnis verschiedener Oppositionsparteien - haben das offizielle Wahlergebnis nicht anerkannt.

Zahlreiche Indizien deuten darauf hin, dass es bei der Auszählung der Stimmen zu massiven Unregelmäßigkeiten gekommen sein könnte. So hatte Oppositionskandidat Nasralla in der Auszählung wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale noch deutlich vorn gelegen. Doch nach einem rätselhaften Absturz des Datenverarbeitungssystems der Wahlbehörde drehte sich die Tendenz zugunsten von Machtinhaber Hernández. Auch die langen Verzögerungen bei der Auszählung und die mangelhafte Informationspolitik der Wahlbehörde waren stark kritisiert worden. Hinzu kommt, dass die Wahlbehörde als politisch abhängig von der aktuellen Regierung gilt.

Selbst eine Überprüfung all jener Wahlkreise, deren Wahlergebnisse die Opposition als umstritten ansah, hat bisher nicht zu einer Befriedung der Situation geführt. Zwar fand die Überprüfung unter Aufsicht von internationalen Wahlbeobachtern der Europäischen Union und der Organisation Amerikanischer Staaten (OEA) statt, die Zweifel am korrekten Ablauf der Wahl und der folgenden Stimmenauszählung konnten dennoch nicht ausgeräumt werden. OEA-Generalsekretär Luis Almagro hat sich nach einer Unterredung mit Oppositionskandidat Salvador Nasralla nun überraschend deutlich positioniert und die Durchführung von Neuwahlen in Honduras gefordert. Die Wahlbeobachtermission der EU gab sich zurückhaltender. Auch sie hatte Unregelmäßigkeiten kritisiert, sieht es laut einer offiziellen Twitter-Nachricht aber nicht als ihre Aufgabe an, das offizielle Wahlergebnis für gültig oder ungültig zu erklären.

Momentan ist völlig unklar, ob - und wenn ja wie - es zu Neuwahlen kommen könnte. Eine wichtige Voraussetzung wäre die Neubesetzung der obersten Wahlbehörde, die als verlängerter Arm der Regierung gilt und ihre Glaubwürdigkeit durch die Verzögerungen und Unregelmäßigkeiten im Auszählungsprozess völlig verspielt hat. Zudem fordern Organisationen der honduranischen Zivilgesellschaft ein Referendum, in dem die Bürger des Landes über eine mögliche, die Wiederwahl des Präsidenten betreffende Verfassungsänderung abstimmen würden.

Eine solche Wiederwahl ist bisher laut Verfassung ausgeschlossen; dass Amtsinhaber Hernández trotzdem eine zweite Amtszeit anstrebt, halten viele Honduraner und internationale Beobachter deshalb für einen klaren Verfassungsbruch. Organisationen wie der jesuitische Think-Tank ERIC in Honduras fordern deshalb die Einsetzung einer Übergangsregierung, die unter Mithilfe und Beobachtung internationaler Organisationen wie der UNO, der EU und der OEA Neuwahlen organisieren müsste. »Wir wünschen uns, dass sich auch die Regierung der USA zu diesem Vorschlag äußert und die Forderung der OEA nach Neuwahlen unterstützt«, sagte Ismael Moreno, der Direktor der Organisation ERIC, in einem Interview mit dem hauseigenen Sender Radio Progreso. »Wir brauchen die internationale Hilfe, um eine Situation zu verhindern, in der es zu weiterem Blutvergießen kommt.«

Bisher sieht es allerdings keineswegs danach aus, als würde Washington dem Wunsch der OEA nach Neuwahlen nachkommen. Stattdessen ruft US-Außenamtssprecherin Heather Nauert in einem offiziellen Statement zur Lage in Honduras alle beteiligten Parteien lediglich dazu auf, die offizielle Frist von fünf Tagen zu nutzen, um Einsprüche gegen das Wahlergebnis geltend zu machen. »Die Vereinigten Staaten nehmen zur Kenntnis, dass die oberste Wahlbehörde den Amtsinhaber Juan Orlando Hernández zum Sieger der Präsidentschaftswahlen vom 26. November erklärt hat«, heißt es in dem Statement.

Auf den Straßen des Landes eskaliert die Situation derweil weiter. Schon seit Wochen tragen Anhänger der Oppositions-Allianz ihren Unmut über die intransparente Wahl und die Machtambitionen von Hernández in Massenprotesten auf die Straße. Dabei ist es wiederholt zu Zusammenstößen mit den staatlichen Sicherheitskräften gekommen, auch von Plünderungen wurde berichtet. Die Opposition wirft der Regierung vor, Provokateure einzusetzen, um zur Eskalation beizutragen und die Proteste zu diskreditieren. Eine Woche nach der Wahl hatte die Regierung den Ausnahmezustand und eine nächtliche Ausgangssperre verhängt.

Laut verschiedener Quellen soll es in den Wochen nach der Wahl zu hunderten willkürlichen Verhaftungen und mindestens 14 Toten bei Zusammenstößen mit den staatlichen Sicherheitskräften gekommen sein, einige Quellen sprechen sogar von mehr als 20 Toten, darunter auch Kinder und Jugendliche. Trotz der repressiven Maßnahmen der Regierung gehen die Proteste gegen Präsident Hernández unvermindert weiter. Ohne ein gemeinsames Vorgehen der internationalen Gemeinschaft erscheint es daher zunehmend unwahrscheinlich, dass die verfahrene Situation noch gewaltlos gelöst werden kann.

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