Hysterie statt sachlicher Debatte

LINKE: Rückgang der Abschiebungszahlen belegt kein Defizit bei der Exekution von Ausreisepflichten

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.
Von Jahresbeginn bis Ende November wurden knapp 22 200 Menschen aus Deutschland abgeschoben, weniger als im Vorjahr, als es noch knapp 25 400 waren. Die Zahl der finanziell geförderten freiwilligen Ausreisen lag gar um 20 000 unter dem Vergleichszeitraum 2016 - knapp 27 900 gegenüber 54 000.

Die Politik müht sich seit Monaten, die Zahl der Abschiebungen und der freiwilligen Ausreisen zu erhöhen, Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte 2016 eine »nationale Kraftanstrengung« angekündigt, abgelehnte Asylbewerber heimzuschicken. Ein gemeinsames Koordinierungszentrum von Bund und Ländern wurde eingerichtet, Beratungsangebote und finanzielle Hilfen sollen die freiwillige Rückkehr ankurbeln. Wie kommt es dann, dass die Rückführungszahlen dennoch sinken? Medienberichte legten am Donnerstag »verfehlte Abschiebungsziele« nahe.

Zunächst ist der Rückgang der Flüchtlingszahlen ein Grund. Rund 185 000 Erstanträge auf Asyl wurden in diesem Jahr bisher gestellt, im Vorjahr waren es noch über 700 000. Hinzu kommt, dass im letzten Jahr viele Menschen aus den Balkanstaaten »freiwillig« ausreisten, nachdem ihre Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt worden waren. Doch die vermeintlich niedrigen Ausreisezahlen rühren auch aus der Erwartung, dass sie einer ungleich größeren Zahl von Ausreisepflichtigen gegenüberstehen. Die Bundesregierung selbst schürt diesen Eindruck gern; Höhepunkt war eine Studie der Beratungsagentur McKinsey, der zufolge es 500 000 Ausreisepflichtige bis Ende 2017 geben werde.

Die tatsächliche Zahl von abgelehnten Asylbewerbern, die sich in Deutschland aufhalten, liegt bei etwa 230 000 - und über 160 000 von ihnen, 71 Prozent, haben eine Duldung, können also aus realen rechtlichen Gründen nicht abgeschoben werden. Darauf macht die innenpolitische Expertin der Linksfraktion im Bundestag Ulla Jelpke aufmerksam. Aus den vorliegenden Angaben der Bundesregierung auf ihre Anfragen schlussfolgert sie: Es gibt keine Mängel bei der Durchsetzung der Ausreisepflicht. »Im Gegenteil: Die so genannte Rückführungsquote - Ausreisen und Abschiebungen bezogen auf rechtswirksame Ausreiseaufforderungen - lag in Deutschland im Jahr 2016 bei 106 Prozent.« Das heißt, es gab mehr Ausreisen und Abschiebungen als Ausreiseverfügungen. Bis September dieses Jahres setzt sich der Trend fort, wie Jelpke zeigt: 37 983 Ausreisen und Abschiebungen abgelehnter Asylsuchender stehen 34 956 Ausreiseentscheidungen zu dieser Personengruppe gegenüber. Im Ausländerzentralregister, auf das sich die Behörden stützen, werden zudem nicht einmal alle Ausreisen erfasst. Die Ungenauigkeit der Angaben hatte zuletzt der ehemalige Behördenchef des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Frank-Jürgen Weise, kritisiert.

Zugleich sieht Jelpke Gründe zur Kritik an den Asylverfahren, deren Beschleunigung die Bundesregierung mit Gesetzesverschärfungen 2016 voranzutreiben beabsichtigte. Die Verfahrensdauer hat sich seither kaum verändert. Ein Grund: Rund ein Drittel der Anträge wird wegen des sogenannten Dublin-Verfahrens an andere EU-Länder verwiesen - das Asylverfahren muss dort stattfinden, wo der Flüchtling zuerst ankam. 316 Mitarbeiter im BAMF sind ausschließlich damit beschäftigt, die Dublin-Zuständigkeit zu klären und durchzusetzen. Dabei ist der ganze Aufwand im Ergebnis ein Nullsummenspiel. Im dritten Quartal 2017 standen 1863 Überstellungen aus Deutschland an die zuständigen Länder 1676 Überstellungen nach Deutschland gegenüber. Statt eines hysterischen Abschiebediskurses fordert Jelpke daher eine Debatte über eine wirksame Bleiberechtsregelung.

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