Amazon prämiert zu Weihnachten Denunziation

In Frankreich verpflichten immer mehr Unternehmen ihre Mitarbeiter dazu, Verstöße gegen Normen und interne Richtlinien zu melden

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Direktion des Logistikzentrums des US-Versandgroßhändlers Amazon im nordfranzösischen Lauwin-Planque hatte zu Weihnachten für die 1500 Mitarbeiter eine ganz besondere Idee: Wer einen Kollegen oder Vorgesetzten meldet, der gegen Arbeitsschutzvorschriften oder andere betriebsinterne Weisungen verstoßen hat, soll einen Amazon-Geschenkgutschein bekommen. Der Wert war nach der Schwere des Verstoßes gestaffelt. Die Direktion nannte das verharmlosend »Safety Fun Game«.

Für die Gewerkschaften, die in dem Unternehmen einen schweren Stand haben und ständig um die Einhaltung der gesetzlichen Normen für die Arbeitsbedingungen und die Rechte der Arbeitnehmervertretung kämpfen müssen, ist das Vorgehen ein Unding: »Bestenfalls ist die Idee idiotisch, aber auf jeden Fall ist das ein Aufruf zur Denunziation«, meinte CFDT-Betriebsrat Patrick Blervaque.

»So etwas kann das ohnehin schon angespannte Klima im Unternehmen nur noch weiter verschlechtern.« CGT-Betriebsrat Alain Jeault bezeichnete das »Spiel« als »geschmacklos und empörend«. Er vermutet, dass diese Initiative dazu dienen soll, in den Personalakten »belastendes« Material zu sammeln, auf das man zurückgreifen kann, wenn man einmal einen missliebigen Mitarbeiter entlassen will.

Die Unternehmensleitung kann die Kritik nicht nachvollziehen. »Wir wollen doch nur unsere Mitarbeiter für den Arbeitsschutz sensibilisieren, denn bei Amazon hat Sicherheit und Gesundheit des Personals höchste Priorität«, hieß es in einer offiziellen Stellungnahme, nachdem mehrere regionale und nationale Medien berichtet hatten. »Diese Initiative kann man keinesfalls als Aufruf zur Verleumdung bezeichnen.« Einen Rückzieher machte das Unternehmen aber nicht. Die Prämien wurden wie geplant kurz vor Weihnachten verteilt.

Dass der Fall landesweit für Empörung gesorgt hat, liegt nicht zuletzt daran, dass Denunziation in Frankreich historisch schwer belastet ist. Man erinnert sich da an die schäbigen Landsleute, die in den Jahren der Nazibesatzung Juden oder Mitglieder der Résistance anzeigten, nicht selten, um sich in deren freiwerdenden Wohnungen einzuquartieren.

Doch in vielen Unternehmen sind Mitarbeiter heute sogar durch eine entsprechende Passage im Arbeitsvertrag zur Denunziation verpflichtet. Vor allem Filialen von US-Konzernen berufen sich dabei auf das 2002 vom Kongress in Washington verabschiedete Sarbanes-Oxley-Gesetz, bei dem es um die bessere Verfolgung von Bestechung, Bilanzfälschung oder Unterschlagung in Konzernen geht.

Um ihr »professionelle Alarmsystem« einführen zu können, müssen die Unternehmen in Frankreich eine Genehmigung bei der Datenschutzbehörde CNIL beantragen. Die wurde bis heute über 1300 Unternehmen erteilt. Auch viele viele rein französische Unternehmen haben den Nutzen erkannt, denn die Vorschrift untersagt es auch, Informationen über betriebsinterne Vorgänge oder Missstände den Medien zuzuspielen und damit öffentlich bekannt zu machen.

So kann man ganz legal gegen »Whistleblower« vorgehen. Die Gewerkschaften beobachten, dass Mitarbeiter in immer mehr Unternehmen unter Berufung auf diese Vorschrift verpflichtet werden, nach außen hin Stillschweigen zu wahren, aber intern jegliche Art von Verstößen zu melden. Dazu gehören oft sogar privates Telefonieren oder das private Surfen im Internet mit dem Firmen-PC, Rauchen von Haschisch, Alkoholkonsum oder selbst Ehebruch mit Arbeitskollegen.

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