Begraben und vergessen
»Die letzte Station« von Ersan Mondtag am Berliner Ensemble
Man muss sich beeilen, denn hier wird die etwas andere Weihnachtsgeschichte für Erwachsene erzählt. Weihnachtsbäume stehen verloren auf der Bühne herum, dabei ist es doch schon nach Weihnachten. So was ist immer traurig. Wenn es Frühling wird, dekorieren sie hier dann um, knospende Birken vielleicht? Oder ist diese Inszenierung dann längst Schnee vom vergangenen Jahr?
Birken übrigens passen wohl nicht zu dieser Geschichte vom dunklen Wald, in dem man für immer verschwindet. Von solchen Ängsten in uns wussten schon die Märchen der Brüder Grimm. Der Wald, in dem man sich verläuft: eine immergrüne Metapher. Vor allem für die pubertären Ängste vom Erwachsenwerden. Ersan Mondtag nimmt den Wald in »Die letzte Station« jedoch als Todesmetapher.
Mondtag hat das Stück selbst geschrieben und inszeniert, es gibt also keine Ausreden. Wir blicken im schönen neuen »Kleinen Theater«, das die Studio-Bühne ist, die dem Berliner Ensemble immer fehlte, auf etwas wie eine Hütte vor besagten Weihnachtsbaumwald. Das ist die letzte Station. Nebel wabert, die Hütte ist eher ein Gestell aus rohem Holz und ein merkwürdiges Sirren liegt in der Luft. Trafo oder Grille? Wohl beides nicht, denn das hier ist bereits das Reich des Todes, das seine unheimlichen Geräusche herüber sendet. Eine Frau kommt unsicheren Schritts heran getippelt, sie ist alt, sehr alt, signalisiert dieser Schritt. Dabei ist Constanze Becker mit einer Reihe von glanzvollen Rollen in dieser ersten Spielzeit des neuen Berliner Ensembles in Bestform. Aber hier lahmt und humpelt sie, als wäre dies eine Schauspielprüfung, bei der sie mit Macht durchfallen will. Sie ächzt und stöhnt, denn sie ist die nächste, die in den Wald muss. Will sie aber nicht, da ist es dunkel und fremd. Warum nicht einfach zu Hause bleiben?
Dann kommt auch schon der tanzende Chor der Untoten, wie Zombies in einem schlechten Horror-Film torkeln sie heran. Man erzählt dennoch beharrlich die Weihnachtsgeschichte. »Alles beginnt mit einem Stern und endet mit einem Untoten«, heißt es am Ende. Da ist schon klar, was kommt: echter Trash, mit metaphysischem Tiefsinn (Hab keine Angst vor dem Tod!) aufgemotzte pubertäre Zombie-Phantasien, die die Zuschauer gefühlt unendliche neunzig Minuten über sich ergehen lassen müssen. Offensichtlich hat Ersan Mondtag, der als Regie-Autor-Junggenie derzeit eine rasende Konjunktur hat, den Weg in den Wald selbst noch vor sich.
»Tyrannis« hieß die Produktion des Staatstheaters Kassel, mit der es Mondtag im vergangenen Jahr bis zum Theatertreffen brachte. Ebenfalls selbst geschrieben und inszeniert. Im Grunde war es, bis auf die Weihnachtsbäume, die gleiche Geschichte. Jugendfrohe Beschwörungen des Unheimlichen, mit seltsamen Geräuschen in der Luft, einem Haus mit untoten Bewohnern, die allerdings stumm waren. Ich erinnere mich, dass dann plötzlich einer der Bewohner mit der Axt losging, keine Ahnung wohin.
Nichts gegen Todesmeditationen, sie erhalten uns am Leben. Die eindrucksvollste dieser Todesmeditationen stammt von Sergio Leone zusammen mit der Musik von Ennio Morricone und heißt »Spiel mir das Lied vom Tod«. Die sollte man in der unverstümmelten 159-Minuten-Version sehen. Die neue Zeit, der Kapitalismus, kommt mit der Eisenbahn auch in den Wilden Westen, der Colt hat ausgedient, man regelt alles viel besser - und wirkungsvoller - mit Geld. Ein Abgesang auf eine untergehende Welt, den Leone so beschrieb: »Der Rhythmus des Films ist darauf angelegt, die Spannung der letzten Atemzüge eines Menschen kurz vor seinem Tod wiederzugeben.« Alle in diesem Film wissen von Anfang an, dass sie das Ende nicht überleben werden. Das ist eine ebenso geschichts- wie schicksalsträchtige Meditation.
In »Die letzte Station« jedoch bleibt alles bloß äußerliche Attitüde. Ebenso ärgerlich wie unfreiwillig komisch. Man zittert im Chor, greint geriatrisch und tanzt einen eitlen Totentanz. Völlig sinnfrei und kaltschnäuzig designt. »Ich begrabe mich in euch«, heißt es dann pathetisch zum Schluss. Aber dazu müsste Mondtag erst einmal ein Theater machen, das man nicht schon beim Verlassen des Hauses wieder vergessen hat.
Berliner Ensemble, Bertolt-Brecht-Platz 1, Mitte. Nächste Vorstellungen: 9., 10., 11., 18. und 19. Januar, jeweils 20 Uhr.
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