S-Bahn: Senat muss entscheiden

Fahrgastverband warnt Rot-Rot-Grün vor weiter anhaltendem Wagenmangel

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Berliner Fahrgastverband IGEB fordert Entscheidungen von der Politik, um die S-Bahn für die Zukunft fit zu machen. So schnell wie möglich müssen dem Verband zufolge zusätzliche neue Fahrzeuge beschafft werden, um den steigenden Fahrgastzahlen durch den Bevölkerungszuwachs in Berlin und Umland gerecht zu werden. Vorwürfe macht der stellvertretende IGEB-Vorsitzende Jens Wieseke vor allem der Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne): »Die Dramatik der Situation ist der Senatorin offensichtlich nicht bewusst.« Jede Woche Verzögerung bedeute auch eine entsprechende Verzögerung für den Einsatz der dringend benötigten zusätzlichen Fahrzeuge. »Doch die Regierungsparteien scheinen sich bisher nur auf Prüfaufträge einigen zu können«, sagt Wieseke.

Hintergrund sind Streitigkeiten innerhalb der rot-rot-grünen Koalition, wer die neuen Fahrzeuge beschaffen soll. Entweder das Eisenbahnunternehmen, das den Zuschlag für den Betrieb bekommt. Oder der Senat baut einen landeseigenen Fahrzeugpool auf, kauft also die Züge selbst und stellt sie dem Betreiber zur Verfügung. Für beide Varianten gibt es laut IGEB gute Argumente. »Aber es gibt kein einziges gutes Argument, die Entscheidung weiter zu verzögern«, heißt es in der Erklärung weiter.

Der Fahrgastverband bezieht sich auf die anstehende Ausschreibung der Teilnetze »Stadtbahn«, das die Ost-West-Linien umfasst, sowie »Nord-Süd«, vor allem S1, S2 und S25. Da die Bieter den Betrieb mit älteren Fahrzeugen durchführen dürfen und nur die Deutsche-Bahn-Tochter S-Bahn Berlin GmbH über solche verfügt, wird sie mit großer Wahrscheinlichkeit auch den Zuschlag erhalten. Allerdings werden die 1000 Wagen der Baureihe 481, die dafür in Frage kommen, für künftige Leistungsausweitungen nicht reichen.

Zu kurze Züge und Fahrtausfälle prägen seit Jahren den S-Bahn-Alltag. Grund ist ein anhaltender Fahrzeugmangel. Immerhin für den Betrieb der Ringlinien gibt es eine klare Perspektive: 382 neue Wagen sind bestellt, die ab Januar 2021 sukzessive in den Linienbetrieb kommen sollen. Ende 2023 sollen alle Ringbahnlinien auf das neue Rollmaterial umgestellt sein. Dafür hat die S-Bahn Berlin GmbH bereits Ende 2015 den Zuschlag erhalten - zu »Monopolpreisen«, wie der IGEB säuerlich anmerkt.

Doch nicht nur bei den Fahrzeugen, auch bei den Strecken fordert der Fahrgastverband deutlich mehr Engagement der Politik. Von einem regelrechten »S-Bahn-Boykott« spricht Wieseke. Eingleisige Außenäste nach Demontagen in Folge des zweiten Weltkriegs, fehlende Möglichkeiten zum Ein- und Aussetzen von Zügen auf der Ringbahn, dazu noch sparsam gesetzte Signale auf dicht belegten Strecken, machen den Betrieb unzuverlässig. Von notwendigen Taktverdichtungen gar nicht zu sprechen. So haben bereits mehr als 2000 Menschen eine Onlinepetition gezeichnet, die einen Zehnminutentakt auf der S5 bis Strausberg fordert. Über 1000 Unterzeichner setzen sich für das gleiche Ziel auf der S1 nach Oranienburg ein.

Der IGEB schlägt zahlreiche Streckenverlängerungen vor. Dazu gehören die Abschnitte Blankenfelde-Rahnsdorf (S2), Hennigsdorf-Velten (S25), Spandau-Falkensee (S3), sowie die Weiterführung der S75 von Wartenberg bis zum neuen Bahnhof Karower Kreuz, damit die Linie im Anschluss die Strecke der S8 bis Birkenwerder übernehmen kann.

»Brandenburg hat die Vorteile eines eigenständigen und autarken Eisenbahnsystems für das Berliner Umland lange geleugnet«, beklagt Wieseke. In Falkensee werde die Bedeutung der S-Bahn nach wie vor unterschätzt.

»Der Weg von der S-Bahn-Krise 2009 in ›Goldene Zwanziger Jahre‹ ist noch weit«, sagt der stellvertretende IGEB-Vorsitzende. »Aber wenn Berlin und Brandenburg jetzt loslegen, können sie zum 100. Jubiläum der S-Bahn 2024 noch einiges erreichen.«

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