Als die Basis aktiv wurde

Die Januarstreiks 1918 - Vorboten der Novemberrevolution.

  • Bernd Langer
  • Lesedauer: 5 Min.

Am Morgen des 28. Januar 1918 dröhnen in den Berliner Betrieben die Schläge von Hämmern und Schraubenschlüsseln auf die Sauerstoffflaschen von Schweißgeräten. Sie geben das verabredete Zeichen zum Ausstand. Bis zum Nachmittag legen in der Hauptstadt 400 000 Menschen die Arbeit nieder. Die gesamte Rüstungsindustrie und große Teile des öffentlichen Lebens kommen zum Erliegen. Wenig später bewegen sich machtvolle Demonstrationszüge durch die Straßen. Im Gewerkschaftshaus wird der Groß-Berliner Arbeiterrat gebildet.

Die Arbeiterschaft hatte die Schnauze voll. Das Sterben an den Fronten nahm seit 1914 kein Ende und die »Hungerblockade« der Entente ließ ungezählte Menschen dahinsiechen. Lediglich durch Rationierung und Ausgabe von Lebensmittelkarten konnte die Lage stabilisiert werden. 1916 kam ein Jahr der Missernte hinzu. Eine Hungerkatastrophe war nur durch den Anbau von Steckrüben abwendbar. Seither bestand die Haupternährung aus Kohl und Rüben, tagein, tagaus.

Politisch lenkte die Oberste Heeresleitung (OHL) unter den Generälen Hindenburg und Ludendorff seit 1916 die Geschicke. Die Wirtschaft war vollständig auf die Rüstungsproduktion ausgerichtet. Wo für möglich gehalten, ersetzten Frauen die Männer in den Fabriken. Es herrschte Arbeitspflicht, die freie Arbeitsplatzwahl gab es nicht mehr.

Im Jahr nach dem »Kohlrübenwinter« sammelte sich die Opposition gegen den Krieg in der USPD (U=Unabhängige). Ihr angegliedert waren auch linke Splittergruppen wie der Spartakusbund. Vereinzelte Proteste führten zu Verhaftungen, weitaus mehr Aktivisten wurden zum Militär eingezogen.

Versuche, Widerstand in der Flotte zu mobilisieren, fanden im August 1917 ein brutales Ende. Hunderte Matrosen landeten in Haft und wegen Meuterei vor dem Kriegsgericht. Die beiden Berliner Matrosen Reichpietsch und Köbis wurden zum Tode verurteilt und standrechtlich erschossen.

Das Militär hatte die Macht im Land. Das deutsche Heer war Anfang 1918 noch nicht geschlagen. Im Gegenteil. Der deutsche Generalstab plante eine alles entscheidende Offensive. Die Zeit drängte, denn seit April 1917 befanden sich die USA im Krieg gegen Deutschland. Bevor die Truppenkontingente der Vereinigten Staaten voll zur Wirkung kommen konnten, musste die Entscheidung fallen. Die Chance dazu bot sich durch die Machtergreifung der Bolschewiki in Russland. Umgehend begannen in Brest-Litowsk Friedensverhandlungen. Damit konnte die OHL ihre Kräfte auf eine große Frühjahrsoffensive im Westen konzentrieren.

Inzwischen wurde die Situation in den Betrieben immer drastischer. Man arbeitete rund um die Uhr. Die Zustände, insbesondere in den Nachtschichten, spotteten jeder Beschreibung. Frauen brachen infolge von Erschöpfung, Hunger oder Krankheit an den Maschinen zusammen. Andere Maschinen standen still - in Folge technischer Defekte oder weil sich die Arbeiter weigerten zu arbeiten. An machen Tagen im Winter konnte nicht geheizt werden. Jeden Tag gab es Kohlrübensuppe. Manchmal mit, meist ohne Kartoffeln.

Vor diesem Hintergrund bauten die von Industriearbeiterschaft frei gewählten Obleute (Vertrauensmänner) eine reichsweite Vernetzung auf. Das Konzept der Obleute stammte aus den Anfängen der Arbeiterbewegung, der Zeit der lokalen gewerkschaftlichen Organisierung. Mit dem Wegfall der »Sozialistengesetze« war 1892 ein neuer, legaler, einflussreicherer und reichsweiter Gewerkschaftsverband gegründet worden. Dieser vertrat ab 1914 wie die Sozialdemokratie die »Burgfriedenspolitik« und lehnte Streiks in der Zeit des Krieges ab. So wurden die Obleute an der Basis wieder aktiv. Zunächst ging es ihnen darum, die sozialen Belange der Arbeiterschaft auch in den Zeiten des »Burgfriedens« durchzusetzen. Mehr und mehr wurden aber auch allgemeinpolitische Forderungen diskutiert. Im Laufe des Jahres 1917 nahmen die Obleute den Namen Revolutionäre Obleute an. Berlin, der größte Industriestandort im Reich, war deren Hochburg. Ihr bekanntester Sprecher der wegen seiner Sehschwäche vom Militärdienst zurückgestellte Richard Müller.

Ende 1917 verlangten die Obleute eine Aussprache mit der USPD-Spitze. Von der Polizei ungestört traf man sich in den Fraktionszimmern im Reichstag. Richard Müller verkündete, dass große Massenaktionen bevorstünden und verlangte von der USPD, zum Streik aufzurufen, »damit ein Kampf entbrenne, den die Regierung nicht nochmals niederschlagen kann«. Am Ende stand ein Kompromiss: Die USPD-Abgeordneten unterstützen einen Aufruf, der nicht explizit die Arbeitsniederlegung forderte. Das reichte den Obleuten, um den Streik auszurufen. Sie verbreiteten das Papier ohne Absprache über den Apparat der USPD. Auf die Einweihung des Spartakusbundes wurde verzichtet.

Mit Macht setzte der Streik am 28. Januar ein. Doch die Repression ließ nicht lange auf sich warten. Bereits am nächsten Tag waren alle Versammlungen und Streikkomitees verboten. Am 30. Januar wurde das Gewerkschaftshaus vom Militär besetzt. Trotzdem breitete sich die Streikbewegung aus. Reichsweit befanden sich bald eine Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter im Ausstand. Das Generalkommando reagierte mit der Verhängung des verschärften Belagerungszustandes für Berlin. Von da an ging die Polizei gewaltsam gegen Demonstrationen vor. Bei Zusammenstößen gab es Tote und Verletzte. Am 1. Februar drohte eine militärische Besetzung der Betriebe. Außerordentliche Kriegsgerichte wurden tätig. Bis zum 2. Februar waren bereits 84 Personen verhaftet. Diese Maßnahmen zeigten Wirkung. Am fünften Tag brach die Streikfront zusammen.

Für die Obleute galt es, unverzüglich zu handeln. In einer schnell einberufenen Versammlung bestimmte jeder einen Ersatzmann für sich. Diese Vorkehrung gegen die erwartete Repression erwies sich als berechtigt, weil gleich nach dem Streikabbruch Tausende von Oppositionellen festgenommen oder eingezogen wurden. Mit einer entsprechenden Aktennotiz kamen sie bald an die Front.

Zum Schutz der eigenen Strukturen brachen die Revolutionären Obleute den Kontakt zum Spartakusbund ab. Bislang war es ihnen gelungen, ihre Organisierung weitgehend verdeckt zu halten. Behördenspitzel hatten erst im Laufe der Januaraktion Wind von den Obleuten bekommen. Noch war den Beamten deren Struktur unklar und welche Personen ihnen zuzurechnen waren.

In den stets offensiv auftretenden Spartakusaktivisten sahen die Obleute von daher ein Sicherheitsrisiko. Die Spartakusgruppe wurde in den folgenden Tagen fast völlig zerschlagen. Am Ende zeigte sich, dass die Obleute zwar in der Lage waren, den größten Streik in der Geschichte des Krieges zu initiieren, doch die Masse der Arbeiterschaft blieb im ideologischen Schlepptau der SPD. Der Militärapparat, im Vollbesitz seiner Macht, ließ sich nicht mit Streiks in die Knie zwingen. Am Ende stand eine bittere Niederlage.

Trotzdem gelang es den Obleuten, ihren Zusammenhang zu retten und als legales Dach blieb die USPD erhalten. Nachdem die militärische Führung im November zusammenbrach, lösten die Obleute in Berlin die deutsche Revolution aus.

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