Falsche Tabletten als Gefahr

Das Erfurter Giftzentrum wurde 2017 häufiger von Seniorenheimen zu Hilfe gerufen

  • Lesedauer: 3 Min.

Erfurt. Menschliches Versagen kommt in allen Bereichen vor - wenn es um die Medikamentenversorgung in Pflege und Medizin geht, können die Folgen tragisch sein. 2017 sind aus Thüringen 49 Anrufe wegen Medikamentenverwechslung in Alten- und Pflegeheimen sowie Betreuungseinrichtungen für Behinderte eingegangen, wie das Giftinformationszen-trum Erfurt auf Anfrage mitteilte.

Aus den Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern seien insgesamt 139 Hilferufe bearbeitet worden, nach 116 im Jahr 2016, erklärte die Leiterin des Giftinformationszentrums, Dagmar Prasa. In elf Prozent der Fälle wurde die Überwachung in einer Klinik empfohlen. Prasa betonte, dass die Zahl der Anrufe im Giftinformationszentrum nicht das tatsächliche Ausmaß der Verwechslungsfälle widerspiegele.

Der Thüringer Heimaufsicht ist das Problem bekannt. Obwohl der Aufbewahrungsort und die Verabreichung von Medikamenten in Pflegeeinrichtungen dokumentiert und alle Mitarbeiter per Gesetz mindestens einmal pro Jahr über den sachgerechten Umgang mit Arzneimitteln geschult werden müssen, kämen Verwechslungen in Einzelfällen immer wieder vor, teilte das Landesverwaltungsamt mit. Sie würden sich nie ganz vermeiden lassen. Mögliche Fehlerquellen seien Missverständnisse zwischen Ärzten und Pflegepersonal bei der Dosierung, fehlerhafte Übertragung von Rezepten in die örtlichen Dokumentationssysteme, die Ausgabe durch Leasingkräfte und Irrtümer bei der Sortierung.

»Das Problem ist real und wird immer mehr als Gefahr erkannt«, sagte der Direktor der Apotheke im Universitätsklinikum Jena, Michael Hartmann. Bereits seit einigen Jahren werden deutschlandweit verschiedene Präventionsmaßnahmen getestet, um die Gefahr von Verwechslungen zu minimieren. Leicht verwechselbare Präparate würden oft an unterschiedlichen Orten gelagert, um ein Vertauschen zu verhindern. Da das Verpackungsdesign eines Herstellers wegen des Wiedererkennungswerts auch bei verschiedenen Medikamenten oft sehr ähnlich sei, entschieden sich die Arzneimittelkommissionen der Krankenhäuser bei verwechselbaren Arzneien häufig für unterschiedliche Firmen. Auch die Praxis, wichtige Bestandteile - etwa von Antibiotika - in Großbuchstaben auf die Packung zu schreiben, habe sich bewährt. In der Intensivmedizin setze sich außerdem immer stärker eine einheitliche Farbcodierung durch, um Fehler zu verhindern.

Um Verwechslungen besser vorzubeugen, sei jedoch ein grundsätzliches Umdenken in Pflege und Medizin nötig, sagte Hartmann. »Meine persönliche Meinung ist, das wir ähnliche Sicherheitsstandards brauchen wie in der Luftfahrt.« Anstelle von immer schärferen Gesetzen sei eine neue Sicherheitskultur nötig, in der auch »Beinahe-Unfälle« gemeldet würden.

Ein Irrtum, so Hartmann, sei zwar nie auszuschließen. Probleme zu benennen und Fehler zuzugeben, müsse aber selbstverständlich werden, um besser vorbeugen zu können. Weil aber vieles vom menschlichen Faktor abhänge, sei ständiges Nachbessern nötig. »Das ist ein kontinuierlicher Prozess, der nie zu Ende ist.« dpa/nd

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