Rücktritt der Regierung in Tschechien
Ministerpräsident Babis verliert Vertrauensvotum
Nach dem Scheitern bei der Vertrauensfrage am Vorabend im Parlament beschloss die Minderheitsregierung von Andrej Babis am Mittwoch in Prag ihre Demission. Er wolle Präsident Milos Zeman um ein baldiges Treffen ersuchen, um den Rücktritt offiziell einzureichen, erklärte der Gründer und Chef der populistischen Protestbewegung ANO (Ja). Zeman will dem 63-Jährigen eine zweite Chance zur Mehrheitsfindung geben und ihn deshalb längere Zeit kommissarisch im Amt lassen. Babis kündigte Verhandlungen mit den übrigen acht Parlamentsparteien an.
Lediglich die 78 ANO-Abgeordneten hatten am Dienstagabend bei der Vertrauensabstimmung für die Regierung des Agrarmilliardärs gestimmt. Die übrigen Mandatsträger der Opposition - einschließlich der Kommunisten und der rechtspopulistischen SPD, die geraume Zeit noch als schwankend galten - entzogen Babis das Vertrauen. Grund ist die Affäre »Storchennest«. Sie könnte für den Unternehmer zum politischen Aus führen. Die EU-Antibetrugsbehörde OLAF sah »mindestens neun Unregelmäßigkeiten« bei der Vergabe europäischer Fördermittel an das Spa, das zum Firmenimperium Agrofert gehört. Die Fördermittel wurden gekürzt und die bereits gezahlten Gelder zurückgefordert.
Der Parlamentarische Immunitätsausschuss in Prag sah es jetzt als erwiesen an, dass Agrofert-Chef Andrej Babis und sein enger Vertrauter Jaroslav Faltynek - beide auch Führungsfiguren von ANO - dem tschechischen Staat Schaden zugefügt hätten und empfahl am Dienstag die Aufhebung der Immunität der Abgeordneten. Alle elf Ausschussmitglieder der Opposition stimmten für die Aufhebung, die acht Vertreter von ANO enthielten sich der Stimme. Damit können Polizei und Staatsanwaltschaft gegen den von Präsident Milos Zeman ernannten Premier sowie gegen den Fraktionsvorsitzenden strafrechtliche Ermittlungen einleiten.
Wenn es sich nicht um Politiker handelte, würde kein Mensch nach den Subventionen für das »Storchennest« fragen, meinte Andrej Babis vor der entscheidenden Parlamentssitzung. Das ganze Szenario sei ein mafiöses Komplott gegen ihn, seine Regierung und seine Partei, so der ANO-Chef. Angesichts der Fülle der Vorwürfe klingt das jedoch zynisch. Die hochrangigen Agrofert-Vertreter sehen sich nicht nur strafrechtlichen Ermittlungen wegen Subventionsbetrugs ausgesetzt. Es geht auch um Schädigung des Staats. Für die politische Karriere des ANO-Chefs könnte das einen erheblichen Knick, wenn nicht sogar das völlige Aus bedeuten. So verwundert es nicht, wenn Babis die Schuld bei anderen sucht.
Der amtierende Präsident Milos Zeman, der bislang seine schützende Hand über Babis gehalten und den ANO-Chef für den Premiersposten nominiert hat, könnte wenige Tage vor der Stichwahl um die Präsidentschaft vielleicht doch noch seine Unterstützung zurückziehen, falls ihn ein Festhalten an dem dubiosen Duo wertvolle Stimmen kostet. Gegenkandidat Jiri Drahos hat bereits angekündigt, sich für die volle Aufklärung des Falles »Storchennest« einsetzen zu wollen. Der Chemieprofessor geht mit guten Aussichten in die zweite Wahlrunde. Einige Mitbewerber haben bereits angekündigt, ihre Anhänger auf Drahos einzuschwören. Zeman aber darf kaum noch mit Stimmenzuwachs rechnen. So könnte Prag in der nächsten Woche möglicherweise einen neuen Präsidenten, jedoch keine Regierung sehen. Die Suche nach Stabilität an der Moldau geht weiter.
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