Zugewuchert

Debatte um Grab von Berliner Fotopionier

  • Marlen Keß
  • Lesedauer: 3 Min.

Sie zählen zu den ersten Pressefotos in Deutschland: zwei Fotografien vom Kaisermanöver 1883 in Wrocław, veröffentlicht am 15. März 1884 in der »Leipziger Illustrirten«. Geschossen hat sie Ottomar Anschütz (1846 - 1907) mit seiner revolutionären Handkamera mit Schlitzverschluss. Diese ermöglichte zum ersten Mal kurze Belichtungszeiten und damit Momentaufnahmen wie die der Soldaten beim Manöver. Zu dieser Zeit lebte und arbeitete der 1846 im polnischen Lissa geborene Anschütz als bekannter Porträtfotograf in Berlin-Schöneberg.

Otto von Bismarck, Kaiser Wilhelm II. und Flugpionier Otto von Lilienthal bei seinen Flugversuchen auf der Maihöhe in Steglitz: Sie alle ließen sich von ihm ablichten. Als Anschütz 1907 starb, wurde er auf dem Friedhof Stubenrauchstraße in Friedenau begraben. 1958 wurde er vom Land Berlin mit einem Ehrengrab geehrt. Doch von der einst kunstvollen Grabstätte mit Pfeilern, Messingketten und grünem Grabsteinbewuchs ist heute nicht mehr viel übrig. Das Grab ist völlig überwuchert. Das ist jetzt Anlass für Diskussionen. Der Status als Ehrengrab ist zunächst auf 20 Jahre befristet, schließlich kostet es Geld. 650 Euro bekommen die Bezirke jährlich für die Pflege und Instandhaltung jeder der aktuell 646 Stätten. Dazu gehören auch die Gräber von Berliner Ehrenbürgern wie etwa Willy Brandt, Richard von Weizsäcker oder Marlene Dietrich. Der Ehrengrab-Status ihrer Stätten ist allerdings unbefristet.

Läuft die Frist bei einem Ehrengrab ab, entscheidet der Senat über die Verlängerung. Wird diese nicht gewährt, wird der Markierungsstein mit dem Berliner Wappen entfernt, die Zahlungen werden eingestellt. 2009 geschah genau das mit dem Grab von Ottomar Anschütz. Seitdem verfällt es - ein Zustand, der Urenkel Holger Anschütz wütend macht. Er arbeitet von seinem Wohnort Rettenberg im Oberallgäu seit fast 20 Jahren die Geschichte seines berühmten Urahnen auf, sammelt Briefe, Fotos und Zeitungsausschnitte. Mittlerweile ist er selbst über 70 und kann sich, wie er sagt, aus der Ferne nicht um das Grab kümmern.

Dazu bewogen hatte ihn ein Anruf von Peter Hahn und Jürgen Stich, die den Stadtteilblog »Friedenau aktuell« betreiben. »Mir wurde berichtet, dass das Grab kein Ehrengrab mehr ist«, sagt Anschütz - und dass schon mehrere ehemalige Ehrengräber nach Ablauf der gesetzlichen Ruhefristen vom Bezirksamt eingeebnet worden seien. Um zu verhindern, dass es auch dem Grab seines Urgroßvaters so ergeht, schrieb er unter anderem an den Berliner Senat und die Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD). Auch Peter Hahn würde die Grabstätte gerne erhalten. Für solche Gräber wünscht er sich eine Lösung nach Wiener Modell: Dort würden nicht nur Ehrengräber von der Stadt gepflegt, sondern auch solche mit handwerklich und kulturhistorischer Bedeutung.

Beim zuständigen Landesdenkmalamt kennt man das Problem zwar, allerdings sagt Gesine Sturm vom Fachbereich Gartendenkmalpflege: »Der Restaurierungsbedarf ist nicht zu finanzieren.« Das Grab von Anschütz indes steht als Teil des Gartendenkmals Friedhof Stubenrauchstraße unter Denkmalschutz. Eine Einebnung ist damit ausgeschlossen. Sie rät Holger Anschütz, für die Pflege der Stätte Sponsoren heranzuziehen. dpa/nd

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