Offenheit gegenüber dem Anderen

Der Jüdische Salon in Hamburg feiert sein zehnjähriges Jubiläum - er liegt im Grindelviertel, das bis zur Shoa das Zentrum jüdischen Lebens in der Hansestadt war

  • Folke Havekost, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Tagebuch und 46 Sonette markierten das Zehnjährige: Am Mittwochabend sprach die Literaturwissenschaftlerin Marita Keilson-Lauritz über das Werk ihres 2011 verstorbenen Mannes Hans Keilson, der sich im Sommer 1944 im niederländischen Delft vor den Nazis versteckte, Tagebuch führte und an Hanna Sanders Gedichte über Liebe, Krieg und Verfolgung schrieb.

Keilson-Lauritz las im Jüdischen Salon am Hamburgern Grindelviertel, der im Januar 2008 von Sonia Simmenauer zusammen mit dem Café Leonar ins Leben gerufen wurde. »Als wir geöffnet haben, habe ich lediglich versucht, mir die nächsten fünf Minuten vorzustellen«, blickt die 54-jährige Konzertagentin zurück: »An zehn Jahre habe ich nie gedacht.«

Es war das Unterfangen, »jüdische Kultur an einen Ort zurückzuführen, an dem auch der Versuch ihrer Auslöschung so sichtbar ist wie nirgendwo sonst in der Stadt«, wie Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda anlässlich der Feier zum Zehnjährigen formulierte. Café und Salon liegen gegenüber der Talmud-Tora-Schule im Hamburger Grindelviertel, das bis zur Shoa das Zentrum jüdischen Lebens in der Hansestadt war.

»Im Café mussten wir schnell eine professionelle Realität schaffen«, erzählt Simmenauer, die sechs Wochen lang in der eigenen Küche experimentierte, bis sie dem Käsekuchen ihrer Mutter auf die Schliche gekommen war. »Im Salon durften wir dagegen im besten Sinne Amateure bleiben.« Ein gutes Dutzend Organisatoren lädt dort seit zehn Jahren, den persönlichen Interessen folgend, zu Abenden über Kunst, Kultur, Musik oder Psychoanalyse ein, getreu Simmenauers Motto: »Nicht die Antworten, die Fragen sind es, die die jüdische Tradition ausmachen.«

Das größte Projekt war eine Mammutlesung von Jonathan Littells Tatsachenroman »Die Wohlgesinnten«, den der Schauspieler Stephan Benson an 34 Abenden vollständig vortrug. Das Thema Verfolgung und Vernichtung im Nationalsozialismus bildet allerdings nur einen kleineren Teil des Programms.

Am 25. Januar wird im Jüdischen Salon über den Nationalökonomen Felix Weil als Mäzen des Frankfurter Instituts für Sozialforschung gesprochen, im Februar stellt Micha Brumlik die von ihm mitherausgegebene Zeitschrift »Jalta« zu zeitgenössischen Fragen jüdischer Identität vor. »Wir sind kein Museum, sondern ein lebendiges Haus«, bekräftigt Simmenauer und kann dabei inzwischen auf eine lange Liste von Salongästen verweisen: Wolf Biermann, Henryk Broder, Lizzie Doron, Olga Grjasnowa, Corinna Harfouch, Ruth Klüger, Sybille Lewitscharoff, Ingo Schulze, Klaus Theweleit, Moshe Zimmermann und Hanns Zischler schauten bereits im Grindelviertel vorbei. Zur Geburtstagfeier des Cafés kam der Lyriker, Regisseur und Autor Robert Schindel aus Wien und trug Gedichte vor.

Während vorne Pastrami-Sandwiches, Mezze, Borschtsch und Bagel serviert werden, geht es hinten, an der Garderobe vorbei, um den »stetigen Wunsch, den Salon mit ernsthafter Fröhlichkeit zu füllen«, wie die Mitveranstalterin Barbara Guggenheim erklärt. Im Jahr 2011 mussten Café und Salon umziehen, weil das Haus abgerissen wurde. Drei Jahre später kehrten sie in den Neubau am Grindelhof 59 zurück. »Es ist ein alter und doch neuer Traum«, sagt Simmenauer, die beim Festakt am Montag ihren Blick auch auf das gegenwärtige politische Klima richtete: »Der Wind hat sich gedreht, es könnte kälter werden, auch in Deutschland. Das Anti wird wieder schamlos ausgetragen, und das betrifft nicht nur die Juden. Die Offenheit gegenüber dem Anderen ist zurückgegangen.« Der Jüdische Salon will mit dafür sorgen, dass durch das Hamburger Grindelviertel ein offener Wind weht.

Informationen im Internet unter: https://www.salonamgrindel.de/

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