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Schreckgespenst Fahrverbote

Die Überschreitung der Schadstoffgrenzwerte in deutschen Städten beschäftigt die Gerichte

»Stadtluft macht frei nach Jahr und Tag«, lautete im Mittelalter ein Rechtsgrundsatz. Frei atmen lässt sich jedoch schon lange nicht mehr. Aktuell werden in mindestens zehn deutschen Großstädten die Grenzwerte für das giftige Stickoxid weit überschritten. Das liegt vor allem an der Belastung durch Dieselmotoren älterer wie neuerer Bauart. Technische Abhilfe wäre nötig und möglich, doch die Industrie will die Kosten nicht übernehmen. Und da die Bundesregierung weitgehend untätig bleibt, drohen kommunale Fahrverbote oder der Entzug der Betriebserlaubnis.

Am Mittwoch begann in Düsseldorf der erste von zehn Prozessen, mit denen die Deutsche Umwelthilfe (DUH) die kommunalen Kfz-Zulassungsstellen dazu bringen will, Euro-6-Diesel-Autos des VW-Konzerns mit Betrugssoftware die Betriebserlaubnis zu entziehen. Diese hielten nämlich trotz Software-Updates nicht die Grenzwerte ein, so die Umweltorganisation. In erster Instanz unterlag sie aber: Das Düsseldorfer Verwaltungsgericht stufte die Klage als unzulässig und unbegründet ein.

Darüber hinaus will die DUH Städte gerichtlich zwingen, adäquate Maßnahmen gegen die Feinstaubbelastung zu beschließen und die Innenstädte für ältere Fahrzeuge mit dreckigen Dieselabgasen zu sperren. Mit einer Blauen Plakette soll sichergestellt werden, dass nur Kraftfahrzeuge mit der strengsten Abgasnorm Euro 6d in die Zentren hineinfahren dürfen. Hier entscheidet das Bundesverwaltungsgericht Mitte Februar höchstrichterlich zwei Präzedenzfälle: Stuttgart und Düsseldorf.

Eine Lösung für die Eigentümer älterer Euro-5-Diesel böte der nachträgliche Einbau von SCR-Technik. Die Kraftfahrzeugindustrie und das CSU-geführte Bundesverkehrsministerium machen jedoch Front dagegen. Sie halten im Gegensatz zu den Umweltverbänden das bereits vereinbarte Software-Update für Euro-6-Diesel für ausreichend.

Ausgerechnet ein Gutachter der Bundesregierung empfiehlt jetzt jedoch den Einbau von Tanks mit einer wässrigen Harnstofflösung (AdBlue), die durch chemische Reaktion mittels SCR-Kat die Stickoxide in die harmlosen Bestandteile Sauerstoff und Stickstoff zerlegt. Die Katalysatoren seien eine »effiziente Maßnahme zur Emissionsreduzierung«, zitiert der »Spiegel« den Gutachter Georg Wachtmeister von der Technischen Universität München. »Deshalb wird dieses System für eine Nachrüstung vorgeschlagen.« Wachtmeister widerspricht demnach auch dem Argument der Autobranche, nach denen in den nachzurüstenden Autos kein Platz für die zusätzlichen Harnstofftanks vorhanden und die Lösung zu kompliziert sei.

In Wirklichkeit geht es wohl um die Kosten der Hardwarenachrüstung. Diese werden auf 1000 Euro bis 1500 Euro je Fahrzeug geschätzt. Da es um rund sechs Millionen Fahrzeuge geht, würden sich die Kosten auf Milliardenbeträge summieren. Während sich die Autobranche strikt weigert, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beim letzten Dieselgipfel im Dezember angekündigt, man wolle verschiedene Regierungsgutachten abwarten. Dass die wichtigste dieser Expertisen nun AdBlue auch für ältere Wagen empfiehlt, setzt das Kabinett unter Zugzwang.

Hinzu kommt, dass die EU beim Thema Überschreitung ihrer Schadstoffgrenzwerte in der Luft langsam ungeduldig wird. An diesem Donnerstag dürfte die EU-Kommission über eine Klage gegen Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof entscheiden. Auch hat Umweltkommissar Karmenu Vella Regierungsvertreter aus Deutschland, Frankreich, Italien, Rumänien, der Slowakei, Spanien, Tschechien, Ungarn und Großbritannien wegen ihrer Untätigkeit für kommenden Dienstag nach Brüssel zu einem Stickoxidgipfel einbestellt.

In einem Brief hatten Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) und Verkehrsminister Christian Schmidt Vella mit dem Hinweis auf vier Expertengruppen milde zu stimmen versucht. Deren Einsetzung durch die Regierung beweise »die nachhaltigen Anstrengungen zur Verringerung der Stickstoffdioxidbelastungen in den belasteten Ballungsräumen«.

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