Die Kämpferin im Blaumann

Die traurige und komische Komödie »Three Billboards Outside Ebbing, Missouri« gilt als einer der großen Oscar-Favoriten

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 5 Min.

Man mag einander nicht besonders in Ebbing, Missouri. Ebbing ist eine verschlafene Kleinstadt voller Dickköpfe und nicht gerade ein Hort der fortschrittlich Gesinnten. Sie verstehen. Hier sagt man gern »Motherfucking«, »Goddam«, »Shit«, »Fuck«, »Cunt« oder »Bitch« in verschiedenerlei Kombination in mindestens jedem zweiten Satz und ist auf jene gutmütige und gemütliche Art rassistisch, die in der Provinz weit verbreitet ist. Aber man meint es ja nicht so. Wenn der örtliche Polizeichef zur Unzeit, mit Ehefrau und Kindern am Frühstückstisch sitzend, angerufen wird, fragt er die Anruferin auch schon mal, wer ihn »goddamit« noch mal am »goddam« Ostersonntag bei seinem »Motherfuckingscheißfrühstück« störe.

Naja, manchmal meint man es auch so: Wenn man etwa den Polizeibeamten beim Betreten des Polizeireviers mit dem Wort »You Fuckhead« begrüßt.

Mildred Hayes führt einen Privatkrieg gegen die örtliche Polizei, denn ihre Tochter ist vor Monaten einem Verbrechen zum Opfer gefallen und dabei gestorben, doch der Polizei ist es noch immer nicht gelungen, einen Verdächtigen zu verhaften. Was den Unmut von Mrs. Hayes erregt.

Die lokalen Polizeibeamten, im Wesentlichen repräsentiert von Chief Willoughby, einem kantigen, knurrigen Kerl mit dem Herzen auf dem rechten Fleck, und Dixon, seinem Deputy, der auch schon mal einen schwarzen Verdächtigen im Polizeigewahrsam verprügelt, wenn ihm danach ist, und den man guten Gewissens als die nicht gerade hellste Leuchte im Lampenladen bezeichnen kann, scheinen tatsächlich nicht allzu engagiert ihrer Pflicht nachzugehen.

Und: Was soll man auch machen, man hat nun mal keine anderen Beamten. Und wenn man sämtliche Polizisten mit leichter rassistischer Tendenz aus dem Polizeidienst entfernte, so erklärt Willoughby, blieben am Ende ja nur drei von ihnen übrig. Und die seien alle Schwulenhasser.

Doch die Redneck-Polizisten haben die Rechnung eben nicht mit Mrs. Hayes gemacht, einer ebenso kauzigen wie unnachgiebigen und resoluten Person, die sich keine Märchen erzählen lässt, schon gar nicht von Polizisten, denen ihre Entspannung während der Arbeitszeit wichtiger zu sein scheint als Gerechtigkeit bzw. das, was Mrs. Hayes dafür hält.

Es bleibt nicht aus, dass die kämpferische Mutter unter Druck gesetzt wird. Ihren eigenwilligen Feldzug gegen die Polizei solle sie aufgeben, so verlangen die Beamten. Und als Mildred schließlich Dixon, den Polizisten, in seinem Revier aufsucht, um ihm mitzuteilen, dass sie genau diese Absicht nicht habe, begrüßt sie ihn mit den Worten: »How’s the nigger-torturing business going these days, Dixon?«

»It’s not called nigger-torturing, it’s person-of-color-torturing nowadays«, antwortet darauf Dixon, der, wie man merkt, nicht der schnellste Denker ist.

Wie mit den Staatsbeamten, so hält die unbeugsame Mrs. Hayes es auch mit dem Pfarrer, der sie eines Tages besucht und sie zur Mäßigung und zur freiwilligen Wiedereingliederung in die Kleinstadtgemeinschaft überreden möchte und dem sie in ruhigem Ton, dafür aber mit umso bestimmteren Worten mitteilt, was von seiner Kirche zu halten ist, dass diese im Grunde nämlich nichts anderes sei als eine »altar boy fucking gang«.

Was diesen gleichermaßen komischen wie traurigen Film, der von Anfang bis Ende voller Dialogwitz ist, zu etwas Besonderem macht, ist der Umstand, dass der irische Regisseur Martin McDonagh, der schon in seinem Debütfilm, der Killerfilmkomödie »Brügge sehen … und sterben?« (GB/USA 2008), eine Vorliebe für unmissverständliche Schimpfworte und pointierte Dialoge voller Sarkasmus zeigte, ungewöhnlich viel Empathie mit seinen Figuren hat, die uns anrühren sollen, und auch auf den Landstrich mit Zärtlichkeit blickt: Mildred Hayes, die tapfere, bis zur Sturheit beharrliche Hausfrau im Blaumann, hasst die Polizei und trauert um ihre Tochter, und doch handelt es sich bei ihr nicht um eine verbitterte hysterische Hexe, sondern um eine starke, unabhängige Frau, die trotz ihrer kargen finanziellen Mittel und ihrer Zugehörigkeit zur Klasse der Besitzlosen ihr Recht als Bürgerin einzufordern versucht.

Die Polizeibeamten wiederum hassen Mildred Hayes und trauern um den entschwundenen Kleinstadtfrieden, und doch handelt es sich bei ihnen nicht um eindimensionale niederträchtige Finsterlinge, sondern um einfältige, im Grunde herzliche Provinztrottel, die nicht immer den richtigen Ton treffen und auch mal ausrasten bzw. bei der unvermeidlichen Anwendung harter körperlicher Gewalt fünfe gerade sein lassen.

Warten wir ab, wer sich am Ende wie durchsetzt. Es geht um Gewalt, Schuld, Täterschaft und den Wunsch nach Rache. Aber auch um die drei unterschätzten Kräfte Liebe, Ruhe, und Überlegung, die am Ende die Welt und die Menschen in ihr besser machen können. Deren Läuterung ist jedenfalls nicht ausgeschlossen. Am Ende des Films brechen zwei Personen auf, um jemanden umzubringen, von dem sie annehmen, er habe es verdient zu sterben. »Are you sure about killing him?«, fragt die eine Person die andere. »Not really«, lautet deren Antwort. Was also nun? »We can decide it on the way.«

Perfekt verkörpert wird Mrs. Hayes von der vor allem aus zahlreichen Filmen der Coen-Brüder bekannten Schauspielerin Frances McDormand, in deren von jedem Make-up befreiter Mimik über zwei Stunden hinweg fortwährend eine einzige große Tragikomödie spielt. Der Blick der traurigen, wütenden und humorvollen Einzelkämpferin wechselt zuweilen im Zweisekundentakt: von verschmitzt zu verbittert, von siegessicher zu ratlos, von Weinen zu Hoffen. Allein das ist großes Kino. Soeben ist der Film für zahlreiche Oscars nominiert worden.

»Three Billboards Outside Ebbing, Missouri«, USA 2017. Buch und Regie: Martin McDonagh, Darsteller: Frances McDormand, Sam Rockwell, Woody Harrelson. 115 Min.

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