Deutsch-französische Achse nimmt Formen an

Die Bundesrepublik dominierte lange die EU, zuletzt aber schlug das Pendel Richtung Paris aus. Es zeichnet sich eine neues Machtzentrum ab

  • Steffen Stierle
  • Lesedauer: 3 Min.

Über zwei Jahrzehnte dominierte Deutschland die Geschicke der EU. Besonders deutlich wurde das im Rahmen der Eurorettungspolitik. Von Troika-Programmen bis Fiskalpakt - zumeist diktierte Berlin die Agenda. Zuletzt schlug das Pendel der Kräfteverhältnisse jedoch Richtung Paris aus. Dafür gibt es viele Gründe. Der entscheidende ist, dass Deutschland mit dem Brexit seinen wichtigsten Verbündeten bei der Durchsetzung einer strikten Kürzungs- und Liberalisierungsagenda verliert.

Entsprechend groß sind die Ambitionen Emmanuel Macrons. Eingehüllt in allerlei Europa-Pathos lautet das unausgesprochene Motto seiner Präsidentschaft »Make France great again«. Innenpolitisch soll dazu vor allem die bereits durchgesetzte Arbeitsmarktreform beitragen. Mit ihr will Macron der französischen Ökonomie einen Wettbewerbsfähigkeitsschub verpassen, der sie zurück auf die Weltbühne bringt. Der Preis ist ein Verfall seiner Beliebtheitswerte, der in dieser Geschwindigkeit seinesgleichen sucht.

Außenpolitisch geht es darum, dem deutschen Europa Grenzen zu setzen: Während die Kürzungsorgien in Südeuropa für Deutschland unproblematisch waren, brachen für Frankreich wichtigere Absatzmärkte ein. Während Berlin mit den strikten Schuldenregeln und dem EU-weit verordneten Kürzungszwang kein Malheur hatte, drücken sie Frankreich auf die Seite der Krisenökonomien. Und während der kleinteilige deutsche Finanzsektor mit strengeren Eigenkapitalregeln gut klar kommt, brauchen Frankreichs Großbanken radikale Liberalisierung. Deshalb will Macron die Europolitik stärker an französischen Interessen ausrichten.

Die Werkzeuge für diese Operation liegen spätestens seit der legendären Sorbonne-Rede auf dem Tisch: Statt über Kürzungsdiktate soll die Währungsunion über gemeinsame Investitionen in Krisenregionen und Rüstungsgüter stabilisiert werden. Statt die Banken in Haftung zu nehmen, sollen die Schulden der Euroländer gemeinsam geschultert werden. Der Finanzsektor soll mit der Kapitalmarktunion weiter liberalisiert, statt mit der Finanztransaktionssteuer besteuert werden. Die Lohnpolitik soll besser koordiniert werden, um die niedriglohnbedingten Wettbewerbsvorteile Deutschlands zu brechen.

Noch vor zwei, drei Jahren wäre wohl Wolfgang Schäuble die Aufgabe zugekommen, diese Agenda kurzerhand vom Tisch zu fegen. Doch Schäuble ist Vergangenheit, in Europa wird nicht mehr »deutsch gesprochen«. Ein Blick ins GroKo-Sondierungspapier genügt um das zu erkennen. Wenn von einem Investivhaushalt für die Eurozone, von höheren deutschen Beiträgen zum EU-Haushalt oder von Verteidigungsunion, die »mit Leben zu füllen« sei, geredet wird, steckt da viel Macron drin.

Natürlich beharren die Großkoalitionäre an anderer Stelle auf Haushaltsdisziplin, Strukturreformen und so weiter. Für ein französisches Europa geht die Verschiebung der Kräfteverhältnisse eben nicht weit genug. Für ein deutsches reicht es aber auch nicht mehr. Es wird ein deutsch-französisches.

Und dieses nimmt bereits Formen an: Berlin wird Elemente einer Transferunion schlucken müssen, aber im Gegenzug durchsetzen, dass jeglicher Transfer an strenge Liberalisierungs- und Kürzungspflichten gebunden ist. Gemeinsame Rüstungsinvestitionen sind bereits beschlossen. Die Finanzmärkte werden weiter liberalisiert, damit sich Paris die Beute angeln kann, wenn die britischen Banken eine neue Heimat suchen. Zudem bekommt Paris eine Angleichung der Löhne und Arbeitsstandards - allerdings auf dem niedrigen deutschen Niveau. Und die EU bekommt nach all dem Durchwurschteln wieder ein richtiges Machtzentrum.

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