»Roadmap für den Nuklearkrieg«

Die »maßgeschneiderte« US-Atomwaffenstrategie gefährdet Bemühungen um Abrüstung

  • Hubert Thielicke
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Freitag legte die Trump-Administration mit dem Nuclear Posture Review 2018 (NPR) ihre Leitlinien zur Kernwaffenpolitik vor. Es handelt sich um ein weiteres wichtiges Grundsatzdokument nach der im Dezember vom Präsidenten unterzeichneten Nationalen Sicherheitsstrategie sowie der vom Pentagon verabschiedeten geheimen Verteidigungsstrategie, von der es nur eine veröffentlichte kurze Zusammenfassung gibt. Eine maßgebliche Rolle spielen in diesem Prozess die drei Generäle, die den Präsidenten umgeben - Sicherheitsberater Herbert Raymond McMaster, Verteidigungsminister James Mattis und John Kelly, Stabschef des Weißen Hauses.

Betonte die Obama-Administration 2010 noch in ihrem Nuclear Posture Review das Interesse an einer »Reduzierung der Rolle der Kernwaffen«, so setzt die neue Nuklearkonzeption auf den Ausbau des Arsenals. Die Bedrohungslage hätte sich verschlechtert, die »Rivalen« Russland und China würden ihr Kernwaffenpotenzial verstärken, Russland angeblich Rüstungskontrollabkommen verletzen; auch die »Schurkenstaaten« Nordkorea und Iran stellten eine Gefahr dar.

Nötig sei eine »flexible, maßgeschneiderte Nuklearstrategie«, um eine »Lücke« des eigenen Arsenals zu schließen, das heißt neue taktische Kernwaffen mit »niedriger Sprengkraft« einzuführen. Ein Euphemismus, denn oft übersteigt ihre nukleare Ladung die der Hiroshima-Bombe. Die Hemmschwelle zur Anwendung von Kernwaffen würde gesenkt. Neben der zielgenauen Bombe B61-12, die auch die im deutschen Büchel stationierten Bomben ersetzen soll, geht es um die Ausrüstung eines Teils der auf U-Booten stationierten Trident-Raketen mit kleineren Sprengköpfen und die Entwicklung einer seegestützten nuklearen Flügelrakete. Auch die strategische Triade wird massiv modernisiert: eine neue U-Boot-Klasse Columbia, ein neuer Bomber-Typ B-21 und anderes mehr.

Senator Edward J. Markey von den Demokraten kritisierte den neuen NPR als »Roadmap für den Nuklearkrieg«. Neue Kernwaffen seien nicht nötig, so Markey. Das Ganze ist natürlich mit einer gewaltigen Kostensteigerung verbunden. Experten rechnen für die nächsten 20 Jahre mit Ausgaben von einer Billion US-Dollar, wohlgemerkt: nur für die Kernwaffen. »Angesichts der aktuellen Steuerreduzierung, ist es wahrscheinlich, dass jede Erhöhung der Nuklearausgaben Reduzierungen bei Gesundheit, Bildung und Infrastruktur erfordern wird«, schätzt der US-amerikanische Friedensforscher Michael T. Klare ein.

Allerdings steht die dem NPR zugrunde liegende nukleare Abschreckung - ob in »klassischer« Form oder »maßgeschneidert« - auf tönernen Füßen. »Ich habe mehr als 40 Jahre an der Thematik der US- und NATO-Kernwaffenstrategie und ihrer Kriegspläne gearbeitet«, schrieb 2005 Robert McNamara, US-Verteidigungsminister von 1961 bis 1968. »Während all dieser Zeit habe ich nie ein Papier gesehen, das einen Plan umriss, der es den Vereinigten Staaten oder der NATO erlaubte, den Einsatz von Kernwaffen zu initiieren und gleichzeitig selbst irgendeinen Nutzen davon zu haben. Nuklearwaffen gegen eine gegnerische Atommacht loszuschießen, käme einem Selbstmord gleich.«

Dieses Dilemma ist den Autoren des NPR durchaus bewusst. Nebulös formulierten sie, dass die USA bei einem Versagen der Abschreckung danach streben würden, »jeden Konflikt zu beenden, die Abschreckung auf dem niedrigst möglichen Schadensniveau für die USA, ihre Verbündeten und Partner wieder herzustellen und die zivilen Verluste im Einklang mit der Erreichung der Ziele weitestgehend zu minimieren.« Wie das zu erreichen ist, bleibt offen. Die eingangs erwähnte Verteidigungsstrategie geht sogar darüber hinaus. Sollte die Abschreckung versagen, seien die US-Streitkräfte bereit zu gewinnen, heißt es dort forsch. Vergessen scheint die 1985 in Genf von US-Präsident Reagan und KPdSU-Generalsekretär Gorbatschow getroffene Feststellung, dass ein Atomkrieg nicht geführt werden darf und nicht gewonnen werden kann.

Der NPR betont zwar die Nichtverbreitung von Atomwaffen, beschränkt sich aber vor allem auf technische Maßnahmen. Im Unterschied zum Dokument der Obama-Administration wird die im Kernwaffensperrvertrag enthaltene Verpflichtung zu nuklearen Abrüstungsverhandlungen nicht erwähnt. Ausdrücklich wird jedoch der im vergangenen Jahr im Rahmen der UNO von einer Staatenmehrheit verabschiedete Vertrag über das Verbot von Nuklearwaffen als schädlich für US-Interessen und die der Verbündeten zurückgewiesen.

Auch im Hinblick auf den Kernwaffenteststopp-Vertrag von 1996 lässt man die Katze aus dem Sack. Während ihn bisher die Atomwaffenstaaten Frankreich, Großbritannien und Russland ratifizierten, heißt es nun erstmals, die USA würden den Senat nicht um Ratifizierung ersuchen. Sie halten derzeit zwar ein Test-Moratorium ein, möchten aber unterirdische Nuklearversuche wiederaufnehmen können, wenn sie das für ihr Waffenprogramm als notwendig erachten. Künftige Rüstungskontrollverhandlungen seien möglich, »wenn es die Umstände erlauben«. Eine Verlängerung bis 2026 des noch zwei Jahre geltenden New-Start-Vertrages, dessen Begrenzungen bis zum 5. Februar erreicht werden mussten, wird offen gelassen.

Die Nuklearkonzeption läuft auf eine neue, von Militärs und Rüstungskonzernen initiierte Welle der Hochrüstung hinaus. Nicht nur von der Trump-Administration als Rivalen oder Gegner betrachtete Staaten, sondern auch Verbündete werden sich fragen, was sie von der im Dokument anvisierten Politik zu erwarten haben. Deutschland müsse sich bei der NATO und der US-Regierung dafür einsetzen, dass keine Stationierungsentscheidungen gefällt werden, forderte der Willy-Brandt-Kreis in seiner Erklärung vom 22. Januar. Unter Verweis auf ein drohendes neues Wettrüsten zwischen den führenden Nuklearmächten stehe die Weltuntergangs-Uhr nun auf zwei Minuten vor Zwölf, warnte das »Bulletin of the Atomic Scientists«.

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