Proteste gegen Folgen der Erdgasförderung

Im Grenzgebiet zwischen Niedersachsen und den Niederlanden häufen sich seit Jahren die Erdbeben

  • May Naomi Blank, Nijmegen
  • Lesedauer: 3 Min.

Anfang Januar in der niederländischen Provinz Groningen. Ein Erdbeben von 3,4 auf der Richterskala erschüttert Zeerijp. Rund um das kleine Dorf mit lauter roten Backsteinbauten liegt unter den Kuhwiesen das größte Erdgasfeld Kontinentaleuropas. Hier gewinnt die Niederländische Erdölgesellschaft (NAM) Erdgas, mit dessen Export sie in den vergangenen 50 Jahren rund 288 Milliarden Euro erwirtschaftete. Die Niederlande erzielen aus den Gewinnen hohe Dividenden und sind zu 40 Prozent Anteilseigner, zusammen mit Shell und Exxon Mobil. Seit den 1980ern bebt es in der Region. Ursache ist die Erdgasgewinnung, das musste die NAM 2014 einräumen. Trotzdem wurde weiter gebohrt. Nun kam es zum schlimmsten Erdstoß seit fünf Jahren.

60 Kilometer südöstlich soll das Gas nicht aus dem Boden heraus, sondern in den Boden hinein. In Jemgum, nordwestlich der ostfriesischen Stadt Leer, nimmt die Kasseler Firma Astora seit 2008 Bohrungen bis auf 1600 Meter Tiefe vor und pumpt Wasser in einen Salzstock, um künstliche Hohlräume zu schaffen. In diesen Kavernen mit einem Fassungsvolumen von 600 000 bis 800 000 Kubikmetern lagert der Energieversorger EWE Erdgas. 2017 betrieb die EWE Gasspeicher GmbH acht solcher Erdgasspeicher bei Jemgum. Die Firma verspricht sich davon, effizienter auf Engpässe reagieren zu können, wie sie etwa aus der Windenergieentstehen können. Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen, nannte die Speicheranlage 2013 das »Rückgrat der Energiewende«.

Die Erdgaslager liegen knapp 30 Kilometer von der Grenze zur Provinz Groningen, wo seit den 1960er Jahren Erdgas gewonnen wird. Das erste Beben verzeichnete man 1986. 1000 Erdbeben wurden seitdem vom Königlichen Meteorologischen Institut der Niederlanden erfasst, seit 2013 stieg deren Anzahl sprunghaft. Misst der Seismograph Erdbeben ab 3,0 Richter-Magnituden, sind sie auch für Anwohner spürbar. In der Regel sind Erschütterungen dieser Stärke harmlos, aber natürliche Beben finden 20 bis 100 Kilometer unter der Erdoberfläche statt. Die Beben, die durch Erdgasgewinnung induziert werden, entstehen drei Kilometer unter der Oberfläche und haben daher stärkere Auswirkungen. Schätzungen zufolge sind bereits 10 000 Häuser beschädigt.

Groningen und Ostfriesland liegen nah beieinander, aber weit entfernt von den Hauptstädten Den Haag und Berlin. In der ohnehin ökonomisch schwachen Provinz Groningen sinken nun die Immobilienpreise aufgrund der Erdbebenproblematik. Und immer mehr Menschen sind wütend, dass Den Haag auf ihre Kosten vom Erdgas profitiert, sie fühlen sich vom Staat und der NAM betrogen.

Dieses Gefühl erreichte seinen Höhepunkt, als die Polizei nach dem Beben in Zeerijp bei Facebook-Nutzern auftauchte, die zum Protest gegen die Gasgewinnung aufgerufen hatten. Auch Agnes Voorintholt aus Groningen hatte einen Aufruf geliked. Im Fernsehinterview beschreibt sie: »Sie sagten, dass sie ein Team haben, dass Social-Media-Seiten scannt. Darauf basierend hätten sie eine Liste angefertigt, auf der mein Name stand. Die Polizistin sagte wortwörtlich: ›Big Brother is watching you.‹«

Das brachte das Fass zum Überlaufen: Nach andauernden Protesten empfahl die Staatliche Minenaufsicht (SodM) vergangene Woche, die Gasproduktion zu halbieren und im am stärksten getroffenen Gebiet zu stoppen. Wirtschaftsminister Eric Wiebes kündigte an, diese Vorgaben schnellstmöglich umzusetzen, nannte aber keinen Zeitrahmen. Der Druck bleibt hoch. Am Donnerstag gab es einen Protestzug mit Traktoren aus Groningen nach Den Haag. Für den Sommer hat das Aktionsbündnis »Code Rood« Proteste angekündigt.

Zurück in Jemgum. Auch hier bewegt die Einwohner die Angst, die Erde könnte absacken. In einer Region, die auf Meeresniveau liegt, beunruhigt dies die Bürger umso mehr. Umweltschützer protestieren seit Jahren gegen die Kavernenspeicher. Sie befürchten Gebäudeschäden und Veränderungen am Grundwasserspiegel.

Doch Wissenschaftler geben zumindest derzeit Entwarnung für die niederländische Grenzregion. Der Seismologe Christian Bonnemann von der Bundesanstalt für Geowissenschaft und Rohstoffe erklärt: »Die Auswirkungen eines Bebens mit der Magnitude 3,6 in Groningen auf die Jemgumer Kavernen sind vernachlässigbar.« Das Sumatrabeben von 2012 habe man in Norddeutschland stärker gespürt als die Erdstöße in den Niederlanden.

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