Nadelstiche gegen Investoren

Immer mehr Bezirke üben das Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten aus

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 5 Min.

»Das war ein Schock«, sagt Thomas Woinzeck über den Moment im Januar, als er erfuhr, dass der Immobilieninvestor Jakob Mähren die Abwendungsvereinbarung für das Wohnhaus Amsterdamer Straße 14/Malplaquetstraße 25 unterzeichnet hatte. Damit konnte der Bezirk Mitte sein Vorkaufsrecht im Milieuschutzgebiet nicht ausüben. Monatelang hatte die Hausgemeinschaft, die sich im Verein »AmMa65« zusammengeschlossen hatte, daran gearbeitet, das Haus mithilfe von Stiftungen selbst zu kaufen. Geschenkt hätten sie sich nichts. »Wir hätten mindestens das Doppelte der jetzigen Miete gezahlt, um den hohen Kaufpreis und die teure Sanierung zu refinanzieren«, berichtet Woinzeck. Über den zuständigen Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD) kann er nur Gutes sagen. »Der hat gemacht, was er konnte.«

Immerhin war es das erste Mal, dass der Bezirk Mitte das Vorkaufsrecht beanspruchen wollte. So wurde es wenigstens die erste Abwendungsvereinbarung. Dort werden unter anderem die Aufteilung in Eigentumswohnungen und Luxusmodernisierungen ausgeschlossen, was die Mieter vor Verdrängung schützen soll.
Andere Bezirke haben schon mehr Erfahrung. In Friedrichshain-Kreuzberg wurde seit Dezember 2015 elfmal das Vorkaufsrecht ausgeübt, in elf weiteren Fällen unterzeichneten die Käufer Abwendungsvereinbarungen. Richtig in Fahrt kam das Ganze mit neun Ausübungen und zehn Abwendungen erst 2017. Laut Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) strahlt das inzwischen auf die Investoren aus: »Es gab im August einen Einbruch bei den Verkäufen in Milieuschutzgebieten.« Allerdings seien die Zahlen im Januar 2018 wieder gestiegen, räumt er ein.

Bezirkliches Vorkaufsrecht
In Milieuschutzgebieten haben die Bezirke ein Vorkaufsrecht, wenn Wohnhäuser veräußert werden. Der Käufer kann es abwenden, indem er eine sogenannte Abwendungsvereinbarung unterzeichnet, die zum Beispiel den Anbau von Balkons und die Aufteilung in Eigentum ausschließt.

In der Regel üben die Bezirke das Recht zugunsten landeseigener Wohnungsbaugesellschaften aus. Sollte die Immobilie so teuer sein, dass die Gesellschaft den Kaufpreis nicht über die zu erwartende Miete refinanzieren kann, kann der Senat einen Zuschuss gewähren. In sieben Fällen wurden in Friedrichshain-Kreuzberg zusammen 2,2 Millionen Euro zugeschossen, das waren 9,2 Prozent der Kosten.

Das Vorkaufsrecht greift nicht bei sogenannten Share Deals, bei denen rechtlich nicht eine Immobilie, sondern Anteile an einer Gesellschaft verkauft werden.

Im Laufe des Februars werden auch in Charlottenburg-Wilmersdorf Milieuschutzgebiete ausgewiesen. Die Nutzung von Vorkaufsrechten in der City West sei »ein deutliches Signal an Mietpreistreiber in der Stadt: Die Party für Euch ist vorbei!«, erklärt Niklas Schenker, Chef der Linksfraktion im Bezirk. nic

Gerade Schmidt ist zum Feindbild der Immobilienwirtschaft geworden. Unter Rot-Rot-Grün werde »langsam aber sicher ein System aus Bedrohungsszenarien und Denunziation installiert«, lässt der »Verein zur Förderung von Wohneigentum in Berlin« auf seiner Internetseite wissen. »Eigentümer und Erwerber sollen mit Abwendungsvereinbarungen und der Androhung von Strafen in Millionenhöhe eingeschüchtert werden«, heißt es weiter. Es überrascht nicht, dass der Verein über deren Vorsitzende verflochten ist mit der Accentro Real Estate sowie der Phoenix Spree Deutschland, die ihr Geld hauptsächlich mit dem Aufkauf von Wohnhäusern und der Aufteilung in Eigentumswohnungen verdienen.

»Ich habe keine Lust, auf die Spekulanten sauer zu sein«, sagt Florian Schmidt. »Denn eigentlich ist es der Bund, der uns ins Messer laufen lässt.« Schließlich ermögliche erst die Gesetzeslage die Verdrängung. »An der elfprozentigen Modernisierungsumlage und der Umwandelbarkeit von Mietshäusern in Eigentumswohnungen ist der Bundesgesetzgeber schuld.« Dadurch werde die Stadtstruktur kaputt gemacht.

Die bei den meisten Mietern ungeliebten Abwendungsvereinbarungen hält Schmidt für gar nicht so schlecht. »Bisher ist mir keine Zuwiderhandlung gegen die Regelungen bekannt«, sagt er. Immerhin sind auch saftige Vertragsstrafen dort vereinbart. Sie können bis zu eine Million Euro betragen.

Tempelhof-Schöneberg war der erste Bezirk, der sein Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten ausgeübt hatte. Bereits im April 2015 verhinderte er so den Verkauf von fünf Wohnhäusern in der Großgörschen- und Katzlerstraße an einen Investoren. Verkäuferin war ausgerechnet die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA). Besonders bitter dürfte ihr aufgestoßen sein, dass der Bezirk auch noch den 23 Prozent über dem Verkehrswert liegenden Kaufpreis reduzierte – von 7,8 Millionen Euro auf 6,35 Millionen. Die BImA strengte einen Prozess an – und bekam im April 2017 Recht vor dem Berliner Landgericht.

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»Unserer Meinung nach wurden die Kriterien sehr zugunsten der BImA ausgelegt«, sagt der Tempelhof-Schöneberger Baustadtrat Jörn Oltmann (Grüne). »Wir haben Berufung eingelegt.« Außerdem gebe es einen Beschluss des Haushaltsausschusses im Bundestag, der die BImA auffordert, die Rechtsstreitigkeiten mit dem Land Berlin beizulegen.
Nach einer längeren Pause wurde in den vergangenen Wochen auch in Tempelhof-Schöneberg das Vorkaufsrecht ausgeübt.

Die Mieter des Hauses Großgörschenstraße 8 haben sich bereiterklärt, schmerzhafte Mieterhöhungen zu akzeptieren, um sich nicht einem Investoren auszuliefern. Kurzfristig lassen sich auch für die Investoren die hohen Kaufpreise gar nicht hereinholen. »Es geht denen gar nicht um die Perspektive der schnellen Refinanzierung. Sie gehen davon aus, durch die Wertsteigerung das Haus in fünf bis zehn Jahren wieder mit Gewinn zu verkaufen«, sagt Oltmann. Für die Grunewaldstraße 27 konnte eine Abwendungserklärung vereinbart werden, geprüft wird gerade ein Fall in der Crellestraße.

Auch Pankow hat im Januar das Vorkaufsrecht für ein Haus in der Belforter Straße 16 ausgeübt, außerdem wurde eine Abwendungsvereinbarung geschlossen. Weitere Verkaufsfälle seien in Prüfung, teilt der dortige Baustadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) mit, angesichts des Personalmangels werde allerdings nur für ein Objekt der Verkehrswert ermittelt.

Vom Personalmangel kann auch der Neuköllner Stadtentwicklungsstadtrat Jochen Biedermann (Grüne) ein Lied singen. Ende Januar scheiterte ein Vorkauf, weil sich die Verwaltung in der Frist vertan hatte. Der Stadtrat bedauert das außerordentlich. »Es ist eine wahnsinnig arbeitsintensive Aufgabe«, sagt Biedermann. Jedes Haus sei ein Einzelfall. »Wem stellen sie ein Dokument zu, wenn das Haus 38 Gesellschaftern gehört?«, nennt er ein Beispiel. Dennoch hat Neukölln bereits viermal das Vorkaufsrecht ausgeübt und zwei Abwendungsvereinbarungen geschlossen.

Biedermann hält das Vorkaufsrecht für »ein gutes und wichtiges Instrument als Signal in die Stadt und die Immobilienwirtschaft«. Auf der anderen Seite schüre es »Erwartungen und Hoffnungen, die wir nicht in jedem Fall erfüllen können«. Es behage ihm nicht, dass das Instrument zur Lösung für die Auswüchse des Immobilienmarkts hochstilisiert werde. »Es kann nur ein punktueller Eingriff bleiben.« Das sieht auch Julian Benz vom Mietshäuser Syndikat so: »Das Vorkaufsrecht wie es aktuell besteht, ist eine Krücke. Trotzdem müssen die Bezirke dranbleiben!«

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